12.07.98: Zürich (CH)-Magnières (F)
Eigentlich wollte ich meine Reise am
13.Juli beginnen. Ich bin zwar nicht abergläubisch, aber man sollte das Glück
auch nicht herausfordern. Zudem war das Wetter schön, alles Gepäck geschnürt
und den Grenzstau in Basel am Montagvormittag mochte ich nicht erleben.
Mit gemischten Gefühlen fuhr ich der Schweizergrenze entgegen. Viele Gedanken
gingen mir durch den Kopf. Was wird mich in den nächsten fünf Wochen erwarten?
Immerhin hatte ich eine Reise von über 7000 Kilometer vor mir und das mit einem
vollbeladenen 125er Roller, der keine 100 Stundenkilometer schafft.
Kurz nach der Grenze überwand ich mit den Vogesen das höchste Hindernis der
Tour. Bewaldete Hügel wechselten ab mit tiefen Tälern. An einem Stausee kurz
vor dem Col de la Schlucht machte ich eine Pause, um meine Beine zu vertreten
und meinen schmerzenden Hintern zu entlasten.
An diesem Tag war das Endspiel zwischen Frankreich und Brasilien an der
Fussball-WM in Paris. In vielen Ortschaften standen Kinder mit Transparenten an
der Strasse und riefen: Nous gagnons! Ich sah das anders bei dem starken Gegner
Brasilien, aber: On verra.
Eigentlich war mein Tagesziel noch nicht erreicht, doch es war schon nach 19
Uhr, ich hatte Hunger und musste auch noch einen Fernsehapparat für das
Finalspiel suchen. Unterwegs sah ich einen Campingplatz an einem idyllischen,
kleinen See und hielt sofort an. Der Platzwart schien meinen Roller mit einer
Goldwing zu verwechseln, denn er fragt mich, ob ich auch Television hätte. Ich
verneinte und er beschrieb mir dann den Weg zum nächstgelegenen Pub, damit ich
das Fussballspiel nicht versäumte.
Das Pub war schon voll mit jungen Leuten, welche gespannt dem ersten Tor ihrer
Mannschaft entgegenfieberten. Nach dem 1:0 brach ein Riesenjubel aus, nach dem
2:0 kannte die Freude kaum noch Grenzen und nach dem 3:0 lagen sich alle in den
Armen. Frankreich war Weltmeister geworden und ich konnte es hautnah im
französichen Dorf Magnières miterleben.
Unterwegs zum Zeltplatz benützte ich fleissig mein selbstmontiertes
Zweiklanghorn und winkte den jubelnden Leuten zurück. Bis um vier Uhr morgens
konnte man Knallkörper und Hupen hören.
13.07.98: Magnières – Luxemburg
Am nächsten Tag verliess mich das
Wetterglück. Kurz vor der luxemburgischen Grenze musste ich das Regenkombi
montieren und es wurde mein ständiger Begleiter in den nächsten drei Wochen.
Wegen dem starken Regen wirkte das geldorientierte Luxemburg kalt und
unfreundlich.
Meine Zeltnachbarn waren zwei junge Frauen aus Belgien, welche hier ihre ganzen
Ferien von 14 Tagen verbringen wollten. Wie langweilig dachte ich mir.
14.07.98: Luxemburg - Genk (B)
Kurz nach der Grenze viel mir auf, dass
die Strassen in Belgien nicht mehr den Topzustand wie in Luxemburg aufwiesen und
auch die Beschilderung war nicht mehr vorbildlich. An manchen Kreuzungen fehlten
die Wegweiser sogar völlig und ich hatte Mühe mit der Orientierung.
Gegen Abend erreichte ich einen riesigen Zeltplatz mit einen künstlichen See
nahe der Stadt Genk.Dort genoss ich den Besuch im tropischen Hallenbad mit
Palmen, Südseebar, Wellenbad und vielen Rutschbahnen.
15.07.98: Genk - Amsterdam (NL)
Die 200 Kilometer von Genk nach
Amsterdam waren schnell geschafft, weil ich statt der Landwege die Autobahn
benützte. Um Amsterdam herum führt eine Ringautobahn mit einem Umfang von fast
100 Kilometern. Man muss sich rechtzeitig entscheiden, ob man rechts oder links
herumfahren und welche Ausfahrt man nehmen muss. Sehr ungewohnt war das
Eintauchen der Autobahn in das Meer und es war mir etwas unwohl in der
Tunnelröhre.
Amsterdam ist beliebt bei vielen Szenegängern und Kiffern. Dementsprechend
sahen die sanitären Anlagen auf dem Campingplatz auch aus. Trotz Nachtruhe um
24 Uhr konnte man vor 2 Uhr wegen dem Lärm und der Musik nicht einschlafen,
doch man ist ja auch nicht wegen der Erholung in Amsterdam...
Am nächsten Tag war Laufen angesagt.
Mit einem Stadtplan bewaffnet erkundete ich die mit ihren vielen Grachten,
Ziehbrücken, schmalen Gassen und tausenden von Velos sehr reizvolle Innenstadt.
In gewissen Schaufenstern priesen sich Damen in Dessous gekleidet an und auf den
Plätzen unterhielten Musikanten, Jongleure und Feuerschlucker das Publikum.
Für mich war Amsterdam das "Venedig des Nordens" und nicht etwa
Kopenhagen oder Stockholm.
Während der Stadtbesichtigung kam ein derart heftiger Regenschauer, dass ich in
einem Museum Unterstand fand. Mit einem Australier, der dasselbe tat, unterhielt
ich mich, bis der Regen vorbei wahr. Er war nicht wie ich seit einer Woche
unterwegs, sondern bereits ein Jahr.
Mein Zeltnachbar, ein Kanadier mit Velo, hatte nachts um drei Uhr Probleme mit
einer Frau, welche den ganzen Zeltplatz informierte, dass sie gewisse
Praktiken nicht mache. Wie peinlich für ihn! Am Morgen als ich aufstand, war er
auch schon losgefahren.
17.07.98: Amsterdam - Bremen (D)
Am nächsten Tag hatte ich eine lange
Route eingeplant, wollte ich doch am Abend in Bremen sein.
Leider nahm ich auf der Ringautobahn die falsche Ausfahrt und war plötzlich auf
dem Weg nach Osten statt nach Norden und damit auf der falschen Seite des
Jisselmeers. Zum Glück gab es noch einen schmalen Damm von Lelystad nach
Enkhuizen. Am Anfang des Damms stand einelange Autokolonne vor einer geöffneten
Ziehbrücke. Ich fuhr wie üblich direkt vor die Schranke neben einen
BMW-Motorradfahrer. Dieser wünschte mir eine gute Reise und brauste nach dem
Oeffnen der Brücke davon. Zu seinem Erstaunen holte ich ihn am Ende des Damms
wieder ein, vor der nächsten Ziehbrücke...
Ein imposanter Eindruck war der folgende,riesige Damm, welcher das Jisselmeer
von der Nordsee trennt.
Von Holland bis zur obersten Spitze von Dänemark wehte oft ein Wind von
extremer Stärke. Da er meistens gleichmässig blies, war er mit entsprechender
Schräglage zu kompensieren. Aber wehe ein entgegenkommender Lastwagen
unterbrach den Windstrom. Dies zwang dann in den nachfolgenden Luftturbulenzen
zu akrobatischen Spurkorrekturen, denn ein Roller mit viel Gepäck ist stark
seitenwindempfindlich. Für die zahlreichen Windmühlen und Stromgeneratoren ist
der Wind ein Segen, ich aber hatte nach der Fahrt Nackenstarre.
Die Grenze von Holland nach Deutschland bemerkte ich nur an den deutschen
Ortsbezeichnungen.Innerhalb der EU ist es sehr angenehm, dass nirgends
Passkontrollen durchgeführt werden und man keine Wartezeiten vor der Grenze in
Kauf nehmen muss. Nur an der Grenze zu Tschechien (und natürlich zur Schweiz)
musste ich meinen Pass zücken.
Von Oldenburg nach Bremen benützte ich eine Landstrasse nördlich von Bremen.
Auf der Landkarte wurde scheinbar vergessen, die Brücke über die Weser
einzuzeichnen. Als ich am Fluss ankam, war wirklich keine Brücke da, aber zum
Glück eine Fähre. Einige Leute umringten mich auf der Fähre und wir
fachsimpelten über Roller. Mein Mut wurde bewundert, mit dem Roller von der
Schweiz bis nach Bremen zu fahren, sie hätten es früher nur bis Amsterdam oder
Hamburg geschafft. Auf meine Aussage hin, dass ich unterwegs sei nach Norwegen
und Schweden erntete ich ein ganzes Spektrum von Reaktionen: Von bewunderndem
Nicken bis zu ungläubigem Grinsen.
Ziemlich geschafft erreichte ich am Abend Bremen und war froh, dass der
Campingplatz von der Autobahn weg ausgeschildert war und ich nicht noch lange
suchen musste. Der Platz lag idyllisch gelegen am Stadtwaldsee. Auf der Wiese
hoppelten wilde Kaninchen und eine Entenpaar mit Nachwuchs empfing mich
schnatternd. Die sanitären Anlagen waren wie in einem Luxushotel verglichen mit
denen von Amsterdam.
Ich wollte schnell vor der Nachtruhe in der Camping-Kneipe noch ein Bier
genehmigen. Doch an der Bar waren gesellige Leute und eine Runde folgte der
andern. Ein deutsches Ehepaar war auf der Rückreise aus Lappland und schwärmte
vom schönen Wetter hoch oben im Norden. Der Mann bestand unbedingt darauf, dass
ich sein Superauto und seinen Superwohnwagen besichtigte. Nach einem letzten
Bier im Caravan torkelte ich dann um ein Uhr zu meinem Zelt.
Am nächsten Tag war Stadtbesichtigung
angesagt. Nach einer einstündigen Bootsrundfahrt Richtung Bremerhaven war mein
schwerer Kopf wieder leichter. Bremen hat eine wunderschönen Marktplatz mit der
Roland-Statue und den Stadtmusikanten.
Am Abend besuchte ich ein Strassenfest mit viel Bier, Fleisch und Fischen. Da
die Norddeutschen viel Fisch essen, werden sie oft als Fischköpfe bezeichnet.
Doch alle mit, denen ich zu tun hatte waren freundlich und hilfsbereit.
Auf einer Bühne tanzten zwei Mädchen zu Techno. Die Szenerie wirkte im
künstlichen Nebel und den Stroboskopblitzen realistisch und gespenstisch
zugleich.
Zu meinem Aerger fuhr ich auf dem Heimweg zuerst in die falsche Richtung und
erreichte den Campingplatz erst nach einer Stunde.
In der Nacht regnete es heftig. Auf dem
Campinggelände hatte sich in der Mitte ein See gebildet und meine Entenfamilie
tummelte sich darin. Zum Glück hatte ich das Zelt am Rande der Wiese
aufgestellt. Die Enten fütterte ich mit in Scheiben geschnittenem Vollkornbrot,
das ich auf der ganzen Reise kaufte und das auch nach 2-3 Tagen noch frisch ist.
Nun gings Richtung Sylt. Mit einer Fähre überquerte ich die Elbe, um nach
Glücksstadt zu gelangen. Hier ist der Fluss mächtig breit und hat viele
Sandbänke, was vom Käpitän viele Kurswechsel verlangte.
Dann konnte ich die riesigen Kühltürme des AKWs Brokdorf sehen. In
Brunsbüttel gab es noch eine kleine Fährfahrt von 10 Minuten. Da niemand
kassieren kam, war diese Fähre gratis.
Kurz vor Niebüll staute sich eine kilometerlange Kolonne vor dem Autoverlad
nach Sylt. Es war Samstag und in vielen Bundesländern hatten die Sommerferien
begonnen. Nun konnte ich einen Vorgeschmack auf Sylt bekommen, die Insel der
Reichen und Schönen. Lauter handybestückte, nervöse Zeitgenossen in ihren
Luxuskarossen.
Per Lautsprecher wurden drei Motorradfahrer und ich aufgerufen, die Kolonne zu
überholen, denn auf dem nächsten Zug hatte es noch ein wenig Platz, Hurra!
Die wenigen Kilometer nach Sylt kosteten stolze 50 Mark. Ein Töffahrer sagte
mir, es sei die einzige Linie der Bundesbahn, die rentiere. Ein anderer mit der
neuesten BMW schien es unter seiner Würde zu halten, sich mit einem
Rollerfahrer zu unterhalten und schnatterte lieber in sein Handy.
In Westerland lag der Campingplatz wunderschön nur durch Dünen getrennt am
Meer. Die Uebernachtung kostete happige 30 Mark und eine Kurkarte für
mindestens eine Woche musste man auch noch lösen. Das Zelt und das Gepäck
musste ich alles vom Parkplatz weg tragen, denn ein Vorwärtskommen mit dem
Roller im tiefen Sand war unmöglich und sowieso verboten.
Sehenswürdigkeiten gabs kaum ausser
arrogante Deutsche und Autokolonnen. Das schönste war der kilometerlange Strand
mit den vielen Strandkörben. Die Leute waren unterschiedlich angezogen:
bekleidet, oben ohne oder ganz ohne, jeder nach seinem eigenen Belieben.
Zum Baden wars mir viel zu kalt, darum beschränkte ich mich aufs Barfusslaufen
in der Gischt.
Am Abend war am meisten in der Fussgängerzone los. Komiker und Jongleure
unterhielten die Leute.
21.07.98: Sylt - Hanstholm (DK)
Am nächsten Morgen in der Früh nahte
eine pechschwarze Wolke und ein gelbliches Licht hüllte die Dünen ein. Dann
legte ein Gewitter los und ich hatte mächtig Angst als die Blitze vom Himmel
zuckten und die Windböen das Zelt fast mitrissen. Doch eine Stunde später war
der Spuk vorbei und die Wolken verzogen sich.
So fuhr ich dann gegen das Dorf List im Norden der Insel und konnte beobachten,
dass der Sand immer weisser, die Vegetation immer karger und der Wind immer
unbarmherziger wurde.
Unterwegs fuhr ich an Kampen vorbei, das Dorf der Promis und Reichen. Unter
anderem soll auch Gunter Sachs hier eine Villa besitzen. Ich aber hatte genug
von deutschen Easy-Ridern auf Harleys und Muttersöhnchen in Ferraris, darum
begab ich mich zur Fähre, welche Sylt mit der dänischen Halbinsel Roemoe
verbindet, und das für nur 15 Mark.
Das Wetter war besser geworden und der Wind stärker. Bis zur Nordspitze
Dänemarks hatte ich Wetterglück, obwohl es ziemlich kühl war. Zu meiner
Freude herrschte nun an der Westküste entlang Rückenwind und ich rollte
genussvoll vor mich hinpfeifend mit 100 Stundenkilometern dahin.
Kurz vor Thisted musste ich noch einmal für eine kurze Ueberfahrt von 10
Minuten eine Fähre benutzen. Es war ein Fährschiff mit Platz für ein Dutzend
Autos, winzig gemessen an den Riesenfähren zwischen Dänemark und Norwegen, die
wahre Fussgängerzonen mit Geschäften und Restaurants sind und Platz für
hunderte von PWs und Lastwagen bieten.
Der Campingplatz in Hanstholm besitzt eine riesige Wiese mit Meersicht für
Touristen und Baumreihen für Dauercamper. Zudem steht ein geheiztes
Schwimmbecken für Campeure gratis zur Verfügung, was ich aber leider erst am
nächsten Morgen sah.
Die sanitären Einrichtungen im Norden waren stets grosszügig und sauber.
Meistens war die Benützung der Dusche, der Küche (inkl. Geschirr) und der
Sauna, falls vorhanden, im Preis inbegriffen.
Da die Zelte in der Mitte der Wiese vom Wind fast zerrissen wurden, siedelte ich
mich direkt neben einer Baumreihe an. Auch hier war der Wind noch sehr stark,
darum stellte ich meinen Roller als Windschutz hin.
Meine Zeltnachbarn auf der einen Seite waren ein junges deutsches Paar, das mit
den Velos nach Schweden unterwegs war. Auf der andern Seite campierten drei
schwedische Familien, die mit Kind und Kegel auf Motorrädern mit Seitenwagen
unterwegs waren.
Nach einer Dusche fuhr ich ins Zentrum, doch alle Läden waren bereits
geschlossen. Zum Glück hatte eine Tankstelle einen grossen Shop, wo ich mich
eindecken konnte. Noch des öfteren war ich auf der späteren Reise froh um die
langen Oeffnungszeiten dieser Tankstellenshops.
Ich nahm ein Bier mit an die Küste und genoss den Blick übers Meer in die
untergehende Sonne. Dabei entdeckte ich ein riesiges Schiff, das in Ufernähe
gestrandet rostend auseinanderbrach.
Um noch ein wenig unter Menschen zu sein, begab ich mich in ein Pub. Es waren
wenig Leute da. Die hauptsächlich männlichen Gäste waren betrunken. Ich hatte
keine Lust darauf, mich mit diesen besoffenen, rohen Typen zu unterhalten und
kehrte in meine vier Stoffwände zurück.
22.07.98: Hanstholm – Hirtshals
Die letzte Etappe auf Dänemarks Boden
mass nur 150 Kilometer. Ich wollte die schnelle Fähre von Hirtshals nach
Kristiansand erwischen. Dieses Schiff verlässt Dänemark um 17 Uhr und ist zwei
Stunden später in Norwegen.
Unterwegs machte ich bei Lokken einen Abstecher ans Meer. Dänemark besitzt an
seiner Westküste hunderte von Kilometern an schönsten Sandstränden. Leider
trüben die tiefen Wassertemperaturen und der starke Wind den Genuss.
Am Strand angelangt erblickte ich eine lange Autokolonne. Die Leute assen,
spielten oder schliefen zwischen den parkierten PWs. Zwar ist ein Auto ein guter
Windschutz, doch ein idyllisches Strandleben hatte ich mir anders vorgestellt.
Da ich befürchtete, mit den schmalen Rollerreifen im Sand steckenzubleiben,
stellte ich den Roller am Rande ab und erklomm eine Düne. Von hier aus hatte
ich einen prächtigen Ueberblick und konnte sogar ein paar Hartgesottene beim
Baden entdecken.
Leider sagte man mir bei der Reederei Color Line, dass es nur noch auf der
langsamen Fähre Platz hat, welche um 20 Uhr abfährt und um Mitternacht ihr
Ziel erreicht. Wie sollte ich nach Mitternacht einen Zeltplatz in Norwegen
suchen?
Also entschied ich mich für die langsame Fähre am nächsten Vormittag von 8
bis 12 Uhr und bezahlte die umgerechnet zirka 100 Franken für das Ticket. Die
Benützung dieser Fähre hiess um 6 Uhr aufzustehen, Zelt zusammenzupacken und
spätestens um 7 Uhr am Hafen zu sein.
Noch eine Bemerkung zur Reservation von Fähren. Wenn man mit dem Roller oder
Motorrad unterwegs ist, hat man eigentlich nie Probleme einen Platz zu
erwischen. Irgendwo im Schiff findet sich immer eine unbenutzte Fläche für ein
Zweirad. Im schlimmsten Fall muss man auf die nächste Fähre warten
(Hirtshals-Kristiansand) oder mit dem Eisenbahndeck vorlieb nehmen
(Trelleborg-Rügen).
Auf dem Campingplatz war eine windgeschützte Stelle hinter dem Leuchtturm für
die Zelttouristen reserviert. Bäume suchte man vergebens hier, nur Büsche und
Sträucher können den Stürmen hier am obersten Zipfel von Dänemark
standhalten. Die Kinder aber hatten ihre Freude am Wind, liessen sie doch ein
halbes Dutzend Drachen am Himmel steigen.
Zuerst hatte ich mich geärgert, an diesem Tag nicht mehr vorwärtszukommen,
doch im nachhinein bin ich dem Schicksal dankbar, denn ich hatte einen
interessanten Abend in Hirtshals.
Im Dorfkern bemerkte ich ein gepflegtes Fischrestaurant und entschied mich für
ein 3-Gang-Menü für 200 Kronen (ca. 40 Franken). Beim Servieren bereute ich
es, dass ich den Fotoapparat nicht dabei hatte. Das war kein normales Essen,
jeder Teller war ein kleines Kunstwerk, geschmückt mit Zweigen und Gewürzen.
Als ich nach dem Essen zum Pub gegenüber schlenderte, kamen mir drei riesige,
besoffene Norweger entgegen. Einer legte freundschaftlich seinen Arm um mich und
erwürgte mich fast dabei. Sie kämen öfters nach Dänemark, weil hier der
Alkohol viel billiger sei als in Norwegen.
Im Pub nahm ich ein Bier an der Theke. Als ich dem Typen neben mir meine weitere
Route erklärte, riet er mir erschrocken davon ab zu diesen norwegischen
Schlägern und Säufern zu fahren. Er kannte eben nur jene Norweger, die nach
Hirtshals kommen, um sich die Lampe zu füllen und Schlägereien anzuzetteln.
Nach einer Weile ging ich ins nächste Restaurant und setzte mich an die Bar.
Neben mir sass ein junger Mann, der zu meinem Erstaunen fast fliessend Deutsch
sprach. Er käme aus Skagen, der nördlichsten Stadt Dänemarks und arbeite dort
an seinem eigenen Grillstand. Da die meisten Touristen Deutsche seien, habe er
deren Sprache gelernt. Wir sprachen über Gott und die Welt, dabei wurde es fast
Mitternacht. Hier in Hirtshals gehe er oft in den Ausgang, weil es viele
Norwegerinnen zum Aufreissen habe. Kaum hatte er das gesagt, kamen drei Norwegerinnen
herein. Ich wollte gehen, weil ich wegen der Fähre um Sechs Uhr aufstehen
musste, doch er überredete mich zum Besuch der Disco gleich nebenan. Wir waren
die ersten, doch innert Kürze war die Disco fast voll, auch die drei
Norwegerinnen waren gekommen. Leider waren sie mehr am Alkohol als an einem
Gespräch interessiert, denn sie kippten mit finsterer Miene ein Glas
Whisky-Cola nach dem anderen.
23.07.98: Hirtshals – Vradal (N)
Pünktlich um Sechs Uhr ging der Wecker
und ich packte das Zelt zusammen. Es war wolkenlos, ziemlich kühl und ich
fühlte mich relativ frisch. Erst auf der Fähre kam dann die Müdigkeit über
mich.
Das Schiff von Color-Line war riesig mit drei Parkdecks und zwei Passagierdecks
mit Restaurants und Läden. Nach dem Frühstück suchte ich mir einen Platz auf
dem Oberdeck und legte mich an die Sonne. Später erwachte ich frierend, denn
dunkle Wolken verdeckten die Sonne und kurz vor Kristiansand begann es zu
regnen.
Wieder an Land, zog ich alles gegen Nässe und Kälte an und wollte losbrausen.
Doch der Küste entlang war ein riesiger Stau und ich musste mich rechts und
links durchschlängeln. Erst in Richtung Landesinneres war ich plötzlich fast
allein.
Die Natur war überwältigend, alle paar Kilometer ein Wasserfall, ein wilder
Bach oder ein See. Bei einem Halt sah ich, dass der Wald fast blau war von wilden
Heidelbeeren.
Bei Treungen fuhr ich links um den See, den Vravatn, weil ich dort den
Campingplatz vermutete. Die Strasse wurde immer schmaler und hopriger. Das
restliche Stück Naturstrasse endete direkt am See, doch zum Glück sah ich ein
Drahtseil über den See gespannt. Nach einer halben Stunde kam dann eine winzige
Fähre mit Ladekapazität von drei Autos.
Ich fror schon beim Warten, doch auf der offenen Fähre schlotterte ich. Also
beschloss ich, den nächsten Campingplatz anzufahren, welchen ich dann in Vradal
fand. Auf dem Platz waren nur norwegische Camper anzutreffen, welche mich
kritisch musterten. Als ich einen ansprechen wollte, verschwand er schnell in
seinem Wohnwagen. Ich fühlte, dass nicht nur die Temperaturen, sondern auch die
Stimmung frostig war.
Der Platzwart sagte mir, dass ein solch mieser Sommer schon lange nicht mehr
vorgekommen sei und dass es bis auf 1200 Meter hinunter geschneit hatte. Zum
Glück war der höchste Punkt meiner Reise hier im Telemark nur 800 Meter über
Meer.
Ich genoss noch ein starkes Bier, das ich auf der Colorline-Fähre gekauft
hatte. In Skandinavien dürfen nur Biere bis 3.5 Volumenprozente in normalen
Läden verkauft werden. Dieses sogenannte Light-Beer schmeckt scheusslich. Wenn
man ein richtiges Bier will, muss man einen speziellen Alkohol-Shop besuchen und
fast 10 Franken für den Halbliter bezahlen. Ich genoss noch ein weiteres Bier
und legte mich in den Daunenschlafsack, den ich jetzt bei 5 Grad Celsius so
richtig genoss.
In der Nacht hatte es geregnet, doch am
Morgen verzogen sich die Nebelfetzen und die Sonne zeigte sich ein wenig. Die
bunten Boote hoben sich kontrastreich vom dunklen, kristallklaren See ab.
Unterwegs nach Oslo bog ich zu früh nach links ab und fuhr plötzlich nach
Norden statt nach Osten. Nach Rauland musste ich einen Pass überqueren, der
höher als 1000 Meter war und so kam ich dem Schnee recht nahe. Hinunter zum
Tinnsjö-See führte die Strasse durch Galerien einer bedrohlich tiefen Schlucht
entlang und man konnte einen riesigen Wasserfall bewundern. Dank dem ungewollten
Umweg konnte ich viele Naturschönheiten Telemarks sehen, doch der Weg nach Oslo
wurde recht lange. Die letzten 50 Kilometer vor Oslo absolvierte ich auf
Autobahnen, welche für Motorradfahrer gratis sind. Dies hatte ich aber erst
bemerkt, als mich jemand an der Zahlstation vorbeiwinkte.
Nach einer Stunde Campingplatzsuchen fand ich ihn endlich. Die Suche aber hatte
sich gelohnt, der Platz lag auf einem Hügel mit Blick über ganz Oslo.
Am Morgen besuchte ich den Hafen,
besichtigte die Vikingerschiffe und die Burg von Oslo. Danach kaufte ich noch
Vorräte für den Sonntag ein und staunte nicht schlecht an den happigen
Preisen.
Wie versprochen wollte ich einem Arbeitskollegen ein E-Mail schicken. Da die
Internet-Stationen aber gratis waren, musste man mit sehr langen Wartezeiten
rechnen. Darum ging ich wieder und schrieb allen Kollegen und Verwandten konservative
Ansichtskarten.
Am Abend war ich in der Fussgängerzone unterwegs. Jeder Versuch, ein
unverbindliches Gespräch anzufangen, scheiterte. Ich dachte wehmütig an Bremen
und Hirtshals zurück, wo das nie ein Problem war. Als mich auch noch ein
Schwuler säuselnd anquatschte, war für mich der Abend gelaufen.
26.07.98: Oslo – Degerfors (S)
Beim Versuch Nebenstrassen zu
benützen, fuhr ich zweimal falsch. Eine Regionalstrasse entpuppte sich als
ungeteerter Feldweg, der an Bauernhäusern vorbei und durch dichte Wälder
führte. Das Kreuzen mit den seltenen Autos war kaum möglich und eine
Geschwindigkeit von über 40 lag auf dem Kies nicht drin. Zudem hatte ich Angst
um den Hinterpneu, der praktisch kein Profil mehr aufwies. Darum gab ich die
kleinen Strassen auf und benützte grosse Verbindungsstrassen, jedoch keine
Autobahnen.
Da es Sonntag war und das Wetter einigermassen mitspielte, waren viele
Motorradfahrer unterwegs. In Skandinavien wurde ich immer gegrüsst, obwohl ich
mit dem Roller auf der Piste war. In der Schweiz und den umliegenden Ländern
wäre das undenkbar. Bei der Grenze von Norwegen nach Schweden liegt eine Art
skandinavische Route66. Einmal befand ich mich inmitten von einem Dutzend
dröhnender Harleys mit ihren furchterregenden Fahrern. Doch sie bewunderten
mein Nummernschild und meinen Gepäckberg, grüssten und brausten davon. Mir
schien, dass der Zusammenhalt und die Hilfsbereitschaft unter Motorradfahrern
hier in der Wildnis im hohen Norden grösser ist als bei uns.
In Degerfors erlebte ich eine positive und eine negative Ueberraschung. Zuerst
die positive, der Zeltplatz mit kostenloser Sauna lag zwischen Birken an einem
wunderschön See. Die negative, Schweden anerkennt als einziges Land die
CCI-Karte (Camping Card International) nicht, also muss man für fast 20 Franken
auch noch die schwedische Campingkarte kaufen!
Beim Kiosk sassen junge Leute aus Schweden und Deutschland. Sie waren nicht sehr
gesprächig und gingen bald in den Ausgang. Ich kaufte mir eine Büchse
schwedisches Bier. Ein Deutscher sagte mir, das sei doch Katzenpisse.
Kurz darauf kam er zu meinem Zelt und brachte mir ein Schultheiss, ein echtes
Bier aus Berlin. Er hatte das Bier in einer Tasche versteckt, denn das Zeigen
und Trinken von Alkohol in der Oeffentlichkeit ist in Skandinavien offiziell
verboten. Wir redeten eine Weile und es stellte sich heraus, dass er ein
Motorradfan ist und jeden Tag mit dem Motorrad von Celle nach Berlin zur Arbeit
fährt.
27.07.98: Degerfors – Stockholm
Die Strecke nach Stockholm war wie bis
anhin. Dichte Fichtenwälder, ab und zu ein See und eine Strasse, die
schnurgerade über alle kleinen Hügel führte.
Mir fiel auf, dass die Strasse so breit war, dass problemlos je zwei Autos
nebeneinander in jede Richtung fahren konnten. Das taten sie auch, obwohl sich
nur in der Mitte eine Markierung befand. Die langsamen Verkehrsteilnehmer fuhren
rechts und liessen die schnelleren überholen. Ausserhalb der Städte war auch
bemerkenswert, wie gelassen die Fahrer unterwegs sind. Manchmal war ein Wagen
über dutzende von Kilometern hinter mir und überholte nicht, obwohl ich nur
mit 80 fuhr.
Vor Stockholm musste ich nach Huddinge abzweigen. Leider übersah ich den
winzigen Wegweiser zum Camping unterwegs und fuhr ins Zentrum von Huddinge.
Keiner der Leute in Huddinge wusste etwas von einem Camping. Erst nach zwei
Stunden fand ich ihn etwas entnervt. Doch der Platz war schön, mit einem See,
einem Restaurant und einem Skilift für den Winter.
Am nächsten Tag zeigte das nasskalte
Wetter erste Wirkungen. Ich hatte Schnupfen und Kopfweh, aber zum Glück keine
Grippe.
Da der hintere Pneu nun vollends profillos war, entschloss ich mich ihn wechseln
zu lassen. Ich fuhr zum Bahnhof im Zentrum von Stockholm, der etwa 15 Kilometer
entfernt lag. In den Telefonzellen lagen keine Bücher mehr auf, sondern ein
Touchscreen wartete auf Eingaben. Nach einigen erfolglosen Versuchen sah ich
einen Polizisten vorbeigehen. Auch er versuchte erfolglos, die Adresse eines
Motorradhändlers herauszubekommen. Dann sagte er mir, ich solle ihm aufs
Polizeibüro folgen, er hätte noch gute alte Telefonbücher dort.
Ich schrieb die Adresse eines Vespahändlers heraus und fuhr zu ihm. Auf
fliessend Deutsch bestätigte er mir, dass der neue Pneu in zwei Stunden
montiert sei. In der Zwischenzeit schaute ich die Umgebung an und liess mir
einen neuen Haarschnitt verpassen.
Am Abend fuhr ich nochmals nach Stockholm, denn ich wollte sehen, ob im
Hardrock-Cafe‚ etwas los ist. Da praktisch nur Familien mit Kindern drin waren
und mir zu kalt war um in der Gegend rumzulaufen, fuhr ich bald wieder zum
Camping.
29.07.98: Stockholm – Borgholm
Der nächste Tag war bedeckt und kühl.
Ich beschloss bis nach Västervik zu fahren, weil es mit 450 Kilometern nach
Borgholm doch ein bisschen weit gewesen wäre. Unterwegs begann es zu regnen.
Während eines Gewitters wurde es stockdunkel und auf der Strasse bildeten sich
Seen. In meinem Regenkombi fuhr ich trocken weiter. Am Ende der Etappe konnte
ich mit Freude entdecken, dass auch das Gepäck nicht nass geworden war.
In Västervik hatte ich keine Lust, das Zelt im strömenden Regen aufzustellen
und fuhr bis nach Oeland weiter, was die längste Tagesetappe meiner Tour
darstellte.
Die Insel ist 137 km lang und bis zu 16
km breit. Im Sommer ist es ein beliebtes Urlaubsziel für viele Schweden wegen
der kilometerlangen Sandstränden und der einzigartigen Flora und Fauna,
besonders auf Stora Alvaret, einer den grössten Teil Südölands bedeckenden
baumlosen, steppenartigen Kalkheide.
Am Morgen war das Wetter schön und ich beschloss, zur Schlossruine Borgholm zu
wandern, welche ein mächtiges Bauwerk aus dem 16./17. Jh. war und 1806 vom
Feuer zerstört wurde. Zum Glück nahm ich das Regenkombi mit. Am Ende der
Besichtigung des alten Gemäuers fing es wie aus Kübeln zu regnen an. Meine
Halbschuhe und der Rucksack füllten sich auf dem Heimweg mit Wasser.
Zu meinem Schrecken musste ich auf dem Campingplatz feststellen, dass mein Zelt
und das der schwedischen Nachbarsfamilie in einem fünf Zentimeter tiefen See
standen. Wenn jetzt der Schlafsack nass ist, nehme ich in Hamburg den Autozug,
schoss es mir durch den Kopf. Aber kein Tropfen Wasser war eingedrungen, doch im
Zelt der Schweden war alles nass geworden und sie verbrachten die nächste Nacht
im Auto.
In der folgenden Regenpause zügelte ich mein Zelt auf einen erhöhten Platz und
machte mich auf die Suche nach Gummistiefeln. Regenschirme und Stiefel waren im
Augenblick der Renner, darum wurde ich erst im dritten Geschäft fündig.
Am Abend nahm ich eine Stärkung in einem Restaurant mit schöner Aussicht auf
den Jachthafen und das Meer zu mir. In einer tollen Abendstimmung genoss ich das
Steak. Gegen Mitternacht ging ich in die Disco, die voll von jungen Leute war.
Ein paar besoffene Teenager vermuteten in mir einen Deutschen und versuchten
mich zu provozieren. Ich machte gute Mine zu ihren doofen Sprüchen und so
verloren sie schnell das Interesse an mir.
31.07.98: Borgholm – Kopenhagen (DK)
Nachdem ich die grosse Brücke von
Oeland aufs Festland überquert hatte, machte ich einen Abstecher nach Kalmar
und schaute das Schloss aus einiger Entfernung an. Schloss Kalmar (16. Jh.) ist
das schönste Renaissance-Schloss Schwedens. Es hat fünf Türme, einen
Wallgraben und schöne Brunnen auf dem Schlosshof.
Unterwegs Richtung Dänemark wechselten sich Schauer, Gewitter und Aufhellungen
ab. Da meine Halbschuhe immer noch durchnässt waren, bewährten sich jetzt die
angezogenen Gummistiefel.
Auf der kurzen Fährfahrt von Helsingborg nach Helsingör wollte ich eine Stange
Zigaretten kaufen und reihte mich in die Schlange im Taxfree-Shop ein. Zu meinem
Aerger sagte mir die Frau an der Kasse, dass ich bei dieser kurzen Strecke
maximal eine Schachtel Zigaretten zollfrei kaufen dürfe, gab mir aber dann aber
wenigstens doch zwei.
Auf dem Zeltplatz bei Kopenhagen sah ich dann das Resultat der ergiebigen
Regenfälle. Etwa die Hälfte der Wiese bestand aus einem See, nur an den
Rändern war noch ein Campieren möglich. Ich suchte mir einen möglichst
erhöhten Platz und schätzte die gekauften Gummistiefel in Wasser und Morast
immer mehr.
Auf den Toiletten und Duschen fiel mir auf, dass überall Gucklöcher von einer
Zelle in die nächste gebohrt worden waren. Ich jedenfalls stopfte WC-Papier in
die Löcher um ungestört zu sein. Entweder hat es in Dänemark mehr Schwule als
im Durchschnitt oder sie fallen durch ihr ungehemmtes Benehmen einfach mehr auf
als anderswo.
Praktisch die ganze Altstadt von
Kopenhagen ist Fussgängerzone und es hat viel Wasser zwischen den einzelnen
Stadtteilen, doch Amsterdam gefiel mir besser.
Unterwegs überholten mich zwei Typen von hinten und einer trampte mir auf den
linken Fuss. Reflexartig fasste ich ans Portemonnaie und spürte dort die Hand
des andern Typen. Ohne Beute gingen dann die beiden fluchend weiter.
Vorsichtshalber steckte ich den Geldbeutel in die vordere Hosentasche.
Am Abend liessen einige Leute in der Stadt Feuerwerk hochgehen. Ihrem Aussehen
nach waren es Heimwehschweizer, die den 1. August feierten. Zur Feier des Tages
wollte ich eine Disco besuchen. Da meine Halbschuhe noch nass waren und
Gummistiefel zum Tanzen ungeeignet sind, zog ich meine Turnschuhe an. Vor jeder
Disco bildeten sich lange Schlangen. Als ich endlich an die Reihe kam, schnauzte
mich der Gorilla an, dass keine Turnschuhe erlaubt seien. Ich wollte ihm meine
Situation erklären, doch er schob mich nur zur Seite. Etwas frustriert wollte
ich wenigstens in eine Musikbar gehen, doch an der Tür hiess es wieder: No
Sportshoes! Dieser Türsteher hörte mir wenigstens zu und hiess mich dann mit
einer Handbewegung einzutreten, doch ich hatte die Lust vollends verloren und
trank mein Bier später im Zelt.
02.08.98: Kopenhagen – Baabe (D,Rügen)
Dieser Tag bestand hauptsächlich aus
Fährfahrten. Zuerst von Dragor nach Malmö und dann von Trelleborg nach
Sassnitz auf Rügen. Auf der Fähre nach Rügen war das Autodeck voll und man
dirigierte mich ins Eisenbahndeck. Es war schwierig, mit den kleinen und zudem
nassen Rollerpneus die Schienen zu überqueren. Ich war froh, den mir
zugewiesenen Platz ohne Sturz erreicht zu haben. Ein netter Fährenarbeiter
erschien und band meine Suzuki mit Tauen sorgfältig fest.
Kurz vor Rügen konnte man die weissen Kreidefelsen erkennen, welche man oft auf
Bildern sieht. In Sassnitz fiel mir das Kopfsteinpflaster auf den Strassen
unangenehm auf, welches nicht nur sehr holprig, sondern bei Nässe auch extrem
rutschig ist. An vielen Stellen in den neuen Bundesländern waren solche
Strassen anzutreffen und verursachten schon nach wenigen Kilometern Schmerzen am
Hinterteil.
Die beiden ersten Campingplätze hatten ein Schild am Eingang: Voll/Geschlossen.
Beim dritten Platz hiess es, wenn ich noch einen Ort fürs Zelt fände, könnte
ich bleiben. Dieser Camping glich mehr einem riesigen Autoparkplatz mit
einzelnen Bäumen und Zelten dazwischen. Ganz am Rande fand ich noch einen
kleinen, schrägen Platz.
Im Nachbarzelt war eine nette Frau mit ihrer Mutter und ihren beiden Kindern.
Sie sagte, dass sie in der DDR nur jedes siebte Jahr an der Ostsee Urlaub machen
durften. Heute komme fast jeder mit seinem Wagen hierher, darum sei jetzt so ein
Chaos. Sie offerierte mir zum Abschied noch feine Thüringer Bratwürste, welch
ein Unterschied zu den arroganten Westdeutschen auf Sylt!
Von Rügen nach Stralsund stauten sich
die Autos auf mehreren Kilometern. Dank der Benützung des Radwegs kam ich aber
dennoch gut voran.
Bei einem Suzukihändler liess ich zum Glück das Oel kontrollieren, denn er
musste fast einen halben Liter davon nachfüllen. Durch schöne Alleen, vorbei
an einigen Seen gings dann durch die Mecklenburgische Seenplatte.
04.08.98: Weissenberg – Berlin
An diesem Tag hatte ich genug vom
Kopfsteinpflaster und begab mich auf die Autobahn. Doch die Autos rasten so
schnell und so knapp an mir vorbei, dass ich nach 30 Kilometern wieder die
Landstrasse vorzog.
In Berlin verpasste ich eine Ausfahrt und landete in Potsdam. Weil die Stadt so
gross war und ich den Campingplatz sonst nie gefunden hätte, kaufte ich mir
einen Stadtplan. Ausser zwei Schweizern waren praktisch nur Italiener auf dem
Zeltplatz.
An diesem Tag stand eine
Stadtbesichtigung auf dem Plan. Vor allem das Branderburger Tor und die Reste
der Mauer wollte ich sehen.
Am Abend stärkte mich ein Steak am Kurfürstendamm. Zwei vorbeigehende Frauen
fragte ich, wo jetzt was los sei. Sie antworteten mir kichernd, dass die Disco
Far Out am Leninplatz immer gut besucht sei. Unterwegs merkte ich dann, dass sie
mich verarscht hatten. Der Leninplatz war zwar Far Out (=weit weg) im Osten der
Stadt, doch er hiess jetzt Platz der Vereinten Nationen und von einer Disco war
weit und breit keine Spur. Auf dem Heimweg kam ich am Gauklerfest vorbei, wo
eine gute Stimmung herrschte. Im Nachhinein war ich froh über den falschen
Discotip.
Gegen Abend erreichte ich Dresden,
welches mir nach Berlin klein vorkam. Den etwas ausserhalb gelegenen Zeltplatz
betrat ich mit gemischten Gefühlen. Hier waren vor einem Jahr ein Dutzend
Benützer von Neonazis zusammengeschlagen worden, doch zum Glück war es dieses
Jahr friedlich.
Vor dem Nachbarzelt sass ein junger Holländer namens Marnix, der mit einem
Kollegen auf Tramptour nach Istanbul unterwegs gewesen war. Doch sein Kollege
war nach einem Beinbruch heimgefahren und so war er jetzt alleine weitergereist.
Da Marnix kaum etwas dabei hatte, gab ich ihm einen Teil von meinem Nachtessen
und Bier ab.
Dresden, welches mit seiner schönen
Altstadt direkt am Elbeufer liegt, besitzt hinter der restaurierten Fassade noch
viele Kriegswunden.
Beim Betrachten der Aussicht auf dem Kirchturm sprach ich mit der Aufsicht. Der
Mann sprach von der Elbe, deren Qualität sich zwar gebessert habe, doch vom
Baden sei immer noch dringend abzuraten. Früher hätten die Tschechen die ganze
Chemie reingekippt, darum sei die Elbe manchmal grün, gelb oder rot gewesen.
Da das Wetter seit Berlin immer besser geworden war, beschloss ich am Abend das
Freiluftkino an der Elbe zu besuchen. Es war eine wunderbare Stimmung mit Elbe,
beleuchtetem Dresden und Vollmond im Hintergrund. Der Film „Der Anwalt des
Teufels" war spannend und ich genoss es, dass man während der Vorstellung
essen und trinken konnte. Nach dem Film gingen viele noch in die Neustadt, doch
mich fröstelte es und ich zog den Schlafsack vor.
An der Grenze zur Tschechoslowakei
staute sich eine Autokolonne von über einem Kilometer. Ich fuhr daran vorbei
und stand plötzlich vor einem skeptischen Zöllner. Zur Ablenkung sagte ich,
dass ich nicht aus der Sächsischen Schweiz sondern aus der echten Schweiz
komme, worauf er mich durchwinkte.
Da ich schon vieles von Diebstahl und Verbrechen in Ostländern gehört hatte,
war mir am Anfang etwas unwohl. Doch ausser der starken Polizeipräsenz in Prag
fiel mir nichts Besonderes auf.
Es war richtig heiss geworden und ich
schwitzte zur Prager Burg hinauf. Von dort war die Aussicht auf Moldau mit
Karlsbrücke und die Altstadt prächtig. Danach besichtigte ich den grossen
Stadtplatz inmitten des Altstätter Rings. In einem Strassenrestaurant staunte
ich nicht schlecht über die 7 Franken für ein Bier. In einem Restaurant in
einer Seitengasse hatte ich eine gute Gulasch und einen gemischten Salat für
unter 10 Franken gegessen. Aber Touristen sind ja zum Ausnehmen da.
Danach entdeckte ich eine Disco in einem alten Kellergewölbe. Doch es war heiss
dort, roch nach Rauch und Schweiss und die Technomusik gefiel mir gar nicht.
Nach kurzer Zeit ging ich wieder und verschwand Richtung Zeltplatz.
Von Prag nach Pilsen führt eine neue
Autobahn, deren Benützung für Motorräder kostenlos ist. Es hatte wenig
Verkehr und es freute mich, dass ich die alten Lastwagen überholen konnte. Bei
einer Tankstelle putzte mir ein nettes Fräulein die Rollerscheibe und ich gab
ihr ein Trinkgeld. Bei der Weiterfahrt musste ich dann mit Entsetzen
feststellen, dass sie mir ihrem Schwamm die ganze Plexiglasscheibe zerkratzt
hatte.
Da ich noch tschechische Kronen besass und die Preise tief waren, übernachtete
ich kurz vor der deutschen Grenze. Ich gönnte mir in einem Gasthof ein
mehrgängiges Menü für unter 15 Franken und machte danach eine Wanderung zum
nahegelegenen Waldsee. Auf dem Zeltplatz hatten alle grosse Feuer entfacht,
sassen oder tanzten drum herum oder grillierten Spiesse.
Von Fürth im Walde bis nach München war es nicht sehr weit, doch in München steckte ich im Feierabendverkehr und brauchte etliche Zeit, um zum Camping zu gelangen. Der Zeltplatz lag ruhig und idyllisch an der Isar, mit mehreren Kneipen und Biergärten in der Nähe.
Das Wetter war schön und die
Temperatur mit 34 Grad fast zu hoch. Bei der Besichtigung der Innenstadt wurde
es mir ein wenig schwindlig. Nach dem Trinken einer Flasche Wasser gings wieder
besser. Ich kaufte etwas zum Picknick ein und fuhr zum Englischen Garten.
Meine Zeltnachbarn auf dem Camping kamen mit dem Motorrad aus Italien und waren
sehr nett. Mit meinem holprigen Italienisch erzählte ich von meiner Tour und
sie bewunderten mich, dass ich diese Strecke mit dem Roller absolviert hatte.
Sie fuhren dann am nächsten Tag Richtung Prag weiter.
Am Abend gönnte ich mir eine Mass im Hofbräuhaus. Am grossen Tisch sass eine
Gruppe Koreaner, ein Ehepaar aus Australien und ein junger Amerikaner. Dieser
konnte gut Deutsch und wir unterhielten uns. Punkt 23 Uhr hörte die Musik zu
spielen auf und eine halbe Stunde später mussten alle Gäste draussen sein. So
fuhr ich dann ziemlich angetrunken zum Zeltplatz.
Trotz meines schweren Kopfes besichtigte ich das Schloss Nymphenburg.
14.08.98: München – Zürich (CH)
Mit einem weinenden und einem lachenden
Auge trat ich die letzte Etappe an.
Zum einen waren die Ferien schon vorbei, zum anderen hatte ich vieles erlebt und
die Tour unbeschadet überstanden.