1.7.99: Zürich-Gunzenhausen bei Nürnberg
Die ganze Tour und die einzelnen Tagesetappen
mit Uebernachtungszeltplätzen hatte ich im voraus zusammengestellt. Dabei dienten
mir Reisebücher und Tipps von Arbeitskollegen, welche gewisse
Sehenswürdigkeiten kannten. Das einzige, was noch nicht feststand, war in
welcher Richtung ich beginnen sollte. Weil das Wetter in Oesterreich und
Tschechien momentan schlecht war, und ich Angst vor Diebstahl in Polen und dem
Baltikum hatte, begann ich meine Tour Richtung Hamburg.
Der Autozug vom Samstagabend nach Hamburg war schon seit Monaten ausgebucht, so
musste ich diese nicht besonders interssante Strecke unter die eigenen zwei
Räder nehmen.
Damit ich trotzdem am Sonntag in Hamburg war, startete ich am
Donnerstagnachmittag. Nach Singen in Deutschland hatte ich eine wunderschöne
Sicht auf den Bodensee, doch es war völlig ungewohnt, ihn aus dieser
Richtung zu betrachten. Nach Ulm begann es zu dunkeln und Nürnberg war noch
über 150 Kilometer entfernt. Um halb Zehn entschied ich mich, den nächsten
Campingplatz anzufahren, denn die Plätze in Deutschland schliessen ihren
Empfang exakt um Zehn Uhr. Um Fünf vor Zehn erreichte ich Gunzenhausen und
konnte gerade noch einchecken.
Da ich unterwegs, um Zeit zu sparen, kein Abendbrot gegessen hatte, verspürte
ich nach dem Zeltaufstellen einen Riesenhunger. Zum Glück war eine Kneipe auf
dem Platz, wo ich mir eine Pizza gönnte.
Letztes Jahr hatte ich Mühe, die ersten Nächte in der ungewohnten Umgebung gut
zu schlafen. Doch diesmal war ich so müde, dass ich sofort in Tiefschlaf fiel.
2.7.99: Nürnberg-Makränstädt bei Leipzig
Nach einer knappen Stunde von Gunzenhausen aus
stand ich bereits auf dem Platz in Nürnberg, auf dem der berühmte Christkindlmarkt
stattfindet. Ich besichtigte die grosse Altstadt, die eine einzige
Fussgängerzone ist und erklomm zur besseren Uebersicht die Burg. Das Wetter war
schön und ich kam dabei ziemlich ins
Schwitzen.
Der Campingplatz von Mäkränstadt war schön an einem See etwas ausserhalb von Leipzig gelegen.
Die Sanitäranlagen waren sehr schlicht, bestand doch die Dusche nur aus einem Raum mit drei Düsen an der Decke.
In einer Kneipe am See gönnte ich mir eine Bockwurst mit Bier und schaute dem
Sonnenuntergang zu. Der Wirt erklärte mir, dass der See früher eine bis zu 40
Meter tiefe Braunkohlegrube war. Jetzt sei ein Teil des Ufers zum Baden, ein
anderer für FKK freigegeben und der grösste Teil gesperrt, weil der Rand steil
abfällt und Einsturzgefahr besteht.
In der Nacht wurde ich durch lautes Gegröle geweckt. Scheinbar hatte eine
Neonazi-Gruppe ein Treffen am Baggersee, denn man hörte immer wieder
"Führer komm!" bis die Stimmen heiser wurden. Dann kamen die Stimmen
näher und Schritte waren auf dem Zeltplatz zu hören. Ein Camper aus Dänemark
hatte den Platz erst nach 10 Uhr abends
erreicht und schlief in seinem Wagen, auf dem jetzt leere Bierflaschen
zerschlagen wurden. Ich hatte mächtig Angst in meinem Zelt, zog die Kleider an
und öffnete den Reissverschluss des Hinterausganges, damit ich notfalls abhauen
konnte. Nun randalierten die Typen auf den Toiletten und schrien
rassistische Sprüche. Gleich wird die Polizei wegen Sachbeschädigung und
Nachtruhestörung kommen, dachte ich mir. Doch nichts geschah, ausser dass die
Kerle mit der Zeit abzogen.
Auf der ganzen Reise hatte ich nie mehr so Angst um Leib und Leben wie hier im sicheren Deutschland.
Nach der unruhigen Nacht fuhr ich nach Leipzig
hinein, um das Völkerschlachtdenkmal anzuschauen. 1806 waren französische
Truppen in Leipzig einmarschiert und 1813 fand die Schlacht bei Leipzig statt,
bei der die Verbündeten den Sieg über Napoleon errangen. Bei strahlenden
Wetter erklomm ich das 90 Meter hohe Denkmal
und genoss zuoberst die Aussicht auf Leipzig und Umgebung.
Der Weg in Richtung Hamburg kam mir unendlich vor. Es hatte keine Autobahn, die
Strassen waren schlecht und überall hatte es kleinere Staus. Gegen Abend hatte
ich genug und steuerte kurz nach Uelzen einen Zeltplatz mitten in einem Wald in
der Lüneburger Heide an. Da keine Kneipe auf dem Platz war, kaufte ich das
Abendessen in einer nahen Tankstelle ein. Ich
freute mich schon auf eine ruhige Nacht. Doch meine Zeltnachbarn, vier Russen,
becherten lautstark, aber zum Glück herrschte eine friedliche Stimmung.
Dank den Autobahnen um Hamburg war ich in einer
Stunde auf dem Campingplatz, der mich aber mehr an einen Hinterhof erinnerte.
Der Platz war mit einer Mauer umgeben, nur 12 mal 30 Meter gross und fast
gefüllt mit Wohnmobilen.
Im hintersten Teil fand ich einen Platz fürs Zelt. Kurz danach kam ein
Wohnwagentross aus Holland und der Schlagbaum wurde gesenkt: Belegt-Geschlossen.
Um die Stadt von oben betrachten zu können, fuhr ich per Lift auf den
Fernsehturm. Die Aussicht auf den darunterliegenden Park, die Alster und den
Hafen von St.Pauli war prächtig. Nach einer Schlendertour durch den Park wagte
ich mich zur Reeperbahn, wo ich meine Vorurteile fallenlassen musste. Nichts war
zu sehen von Zuhältern, Saufbrüdern,
Prostituierten und Türstehern, welche die Männer zum Abzocken in schummrige
Lokale zerrten. An diesem frühen Sonntagabend flanierten ganz normale Leute
durch die Strasse, als ich mit einem Wurstverkäufer ins Gespräch kam. Er
zeigte mir die Ritze, ein ehemaliger Boxertreff, in dem heute
nichts mehr los sei. Dann legte er mir ein Foto von seiner Freundin vor, eine Thailänderin, der er einen anständigen Job als Verkäuferin
verschafft hatte. Die Kundschaft und das Klima habe sich in der letzten Zeit
verbessert, seit es nicht mehr nur Sexlokale gebe. Uebrigens dürften die
Mädchen sich erst nach 20 Uhr auf der Strasse präsentieren.
Ich hatte Lust auf ein währschaftes Fischgericht, doch am Hafen gab es nur
Schnellimbisse für Touristen. Zwei junge Frauen, die auf einer Treppe sassen
und eine Flasche Wein tranken, erklärten mir den Weg zu einem guten
portugisischen Fischlokal. Da es ein warmer Sommerabend war, wollte ich im
Freien essen, doch alle Tische waren besetzt. Eine Frau, welche alleine an einem
Vierertisch sass, sagte mir, dass noch zwei Plätze frei seien. Kurz danach kam
ihr Freund und schnauzte mich an, es käme noch ein Paar, doch seine Freundin
winkte ab.Mit der Zeit unterhielten wir uns ganz gut, doch der Typ, ein prahlerischer
Möchtegern-Snob, war nicht meine Linie.
Nach einer sehr ruhigen Nacht weckte mich morgens um 5
ein Donnergrollen und
Blitze erhellten den Himmel. Um Acht war das Gewitter vorüber und die Sonne
zeigte sich.
Auf der Autobahn in Richtung Kiel hatten sich die Autos wegen einer Baustelle
auf mehrere Kilometer gestaut. Das sind dann die Momente, die man als
Motorradfahrer geniesst, wenn man an der Kolonne vorbeifährt.
Kurz nach vier Uhr kam ich im Hafen von meinem Etappenort Fynshav an und sah,
dass die Fähre um Vier abgefahren war und
die nächste erst um Sechs ablegte. Der Himmel verdunkelte sich und es kam
Nebel auf, doch zum Glück regnete es nicht. Ich beschloss, diesen Tag noch bis
nach Bojden zu fahren.
Auf dem Campingplatz in Bojden war ich angenehm überrascht von der Grösse und
Sauberkeit der sanitären Anlagen. Solchen Luxus wie hier sollte ich erst wieder
beim Auwirt in Salzburg finden. Wie im Norden üblich, war auf dem Zeltplatz am
Abend nichts mehr los. So suchte ich mir eine Kneipe im Dorf und setzte mich im
Freien zu einem Ehepaar hin. Er war Strassenbau-Ingenieur und sie leitete eine
Stadtküche. Sie kamen aus Schweden, aber sprachen erstaunlich gut deutsch.
Am Morgen war ich froh, dass ich gleich
losfahren konnte und nicht zuerst die Fähre benutzen musste. Kurz nach Nyborg
sah ich die riesige Brücke, welche Fünen mit Seeland verbindet und erst seit
1997 benützbar ist. Dank einer massiven Steigung befindet man sich in der Mitte
der Brücke in einer Höhe, so dass auch die grössten Schiffe problemlos
untendurch fahren können. Durch den Wind dort oben wurde ich gezwungen, in
einer extremen Schräglage weiterzufahren. Kurz nach der Brücke kam die
Zahlstation, wo mir über 20 Franken von der
Mastercard abgebucht wurden.
Gemäss ADAC-Führer war der Campingplatz in Helsingör lärmig zwischen Zug und
Küstenstrasse angesiedelt, doch er lag sehr
ruhig und schön direkt am Meer. In der Nähe sah ich ein Industriegleis, das
aber kaum befahrenen war.
Da das Zentrum nur einen Kilometer entfernt war, ging ich zu Fuss in die
Altstadt. In der Fussgängerzone viel
mir auf, dass viele Schwule und Penner unterwegs waren. Die Schwulen pfiffen mir
nach und die Penner bettelten um Geld. Genervt ging ich in ein Pub, doch es war
praktisch leer.
Beim Warten auf die Fähre nach Helsingborg
fielen mir die vielen Leute auf, welche mit Bierharassen unterwegs waren, denn
gemäss Zollvorschriften durfte man 15 Liter Bier pro Person mitnehmen.
Sicherheitshalber wollte ich auch noch ein paar Dosen Bier in Dänemark kaufen,
aber leider sind Aludosen verboten und die
Glasflaschen waren mir zu schwer.
Nach einem Stück Autobahn in Richtung Göteborg gings dann über Landstrassen
durch die typischen skandinavischen Wälder zum Vätternsee.
An der Zeltplatz-Reception würde ich freundlich begrüsst und eine ältere Frau
meinte, was
ich für ein schönes Motorrad hätte.
Der Campingplatz war wunderschön auf einer Art Terrasse, mit Blick auf
Jönköpping und den Vätternsee, gelegen. In der Nähe war das Zelt eines
deutschen Motorradfahrers, doch weil er meinen Roller grinsend betrachtet hatte,
liess ich eine Konversation bleiben.
Später kamen noch zwei Autos mit
holländischen Kennzeichen und vier junge Frauen stiegen aus. Nach dem
Zeltaufbau begannen sie sich zu küssen und zu liebkosen.
Als die Sonne unterging, beobachtete ich fasziniert das Naturspektakel. Die
Wolken färbten sich glutrot und der Vätternsee schillerte in allen Farben.
Am Morgen regnete es in Strömen, sodass ich zum
erstenmal auf der Tour das Regenkombi anziehen musste. Doch kurz nach
Jönköpping hörte es auf und die Sonne zeigte sich wieder, es blieb aber
relativ kühl. Ich fuhr auf einen Hügel am Vätternsee, doch leider war der
Wald überall so dicht, dass ich keine Aussicht auf den See fand. Dann gings
alles auf der Autobahn nach Stockholm. Etwa 50 Kilometer vor Stockholm sah ich
der Benzinuhr an, dass bei der nächsten Gelegenheit tanken fällig war. Doch
auf den folgenden 40 Kilometern war keine Tankstelle zu sehen und ich wurde
zusehends nervöser. Als dann endlich ein Schild auftauchte mit der Aufschrift,
dass nach einem Kilometer eine Zapfsäule sei, schnaufte ich auf: Geschafft.
Kaum hatte ich das gedacht, stotterte der Motor und stellte ab. Zum Glück hatte
ich zwei Liter Reservebenzin dabei, welches ich hier das einzige Mal auf der
Reise brauchte.
Dieses Jahr steuerte ich nicht den Zeltplatz in Huddinge an, sondern einen, der
viel näher am Zentrum lag und schlug dort mein Zelt auf einem kleinen Hügel
auf. In der heissen Sonne sitzend dachte ich mit Grausen an
das miese Wetter hier im letzten Jahr. Es hatte mir jede Motivation genommen,
Stockholm zu besichtigen, doch das wollte ich dieses Jahr nachholen.
Ich hörte Schweizerdeutsch sprechen und sah ein Auto und zwei Harleys mit
Aargauer Nummern. Es war ein Vater, der seine beiden Söhne mit Auto und Gepäck
begleitete. Als er sah, dass ich auch aus der Schweiz kam, setzte er sich zu
mir. Seine Söhne seien nicht alles gefahren, sondern von Zürich bis Hamburg
mit dem Autozug und von Kiel bis Oslo mit der Fähre. Ich dachte mir: Ausser
Show nichts gewesen.
Ausserdem war auch der deutsche Motorradfahrer von Jönköpping wieder da. Ich
fragte ihn nach seinem Reiseziel und er gab das Nordkapp an. Da ich nach
Finnland und dem Baltikum weiterreisen wollte, meinte er, dass er den
Aktionsradius eines Rollers unterschätzt hatte.
Am Abend fuhr ich in die Altstadt von Stockholm, welche in der Abendsonne
strahlte. Leider waren alle Speiselokale überfüllt, sodass ich mir etwas
ausserhalb eine Pizza einverleibte und dann wieder zum Zelt fuhr.
Ich liebe es, von einem höhergelegenen Punkt
aus eine Uebersicht über eine Stadt zu gewinnen. Im Reiseführer war in einem
Freizeitpark ein Turm beschrieben, von dem man eine gute Aussicht habe. Am
Eingang fragte ich eine Aufsichtsperson danach. Der Mann lachte und meinte, der
Turm sei eine Art Achterbahn und ich hätte kaum die Zeit um zu fotografieren.
Er beschrieb mir dann sehr gut den Weg zum Fernsehturm, von wo aus ganz
Stockholm zu bewundern war.
Stockholm war letztes Jahr die Kulturstadt Europas. Ich hatte die Qual der Wahl,
aus den vielen Museen eins zur Besichtigung auszuwählen. Ich entschied mich
für die Vasa, ein Schiff das im Jahre 1600 im Hafen gesunken war und erst
kürzlich gehoben und restauriert wurde.
Danach schaute ich mich in der Stadt um, erkannte Orte, an denen ich letztes
Jahr schon gewesen war und entdeckte einen Platz, um den sich ein Restaurant an
das andere reihte. Hierhin kehrte ich am Abend zurück, denn ich hatte
wiedereinmal Appetit auf ein rechtes Stück Fleisch. Treffenderweise hiess das
Steakhouse Fridays, welches ich an diesem Freitag besuchte. Am Eingang standen
zwei Gorillas und musterten jeden Gast. Einer drückte mir einen numerierten
Ballon in die Hand und hiess mich an der Bar warten. Entweder war
die Küche überlastet oder der Umsatz an der Bar sollte angekurbelt werden,
denn viele Tische waren leer.
Die 80 Kilometer nach Grisslehamn waren schnell
geschafft. Da ich fast zwei Stunden auf die Fähre nach Eckerö warten musste,
vertrieb ich mir die Zeit mit Essen und an der Sonne liegen. Vor der Fähre
standen vier Motorräder, eine Goldwing hatte sogar einen Anhänger dran. Der
beleibte Besitzer mit Cowboyhut war
gesprächig und so fachsimpelten wir, über Goldwings und Roller im Speziellen
und Motorradreisen im Allgemeinen. Wie praktisch der Anhänger war, sah ich auf
der Fähre, als der schwedische Cowboy ihn mit Duty-Free-Artikeln belud. Ich hatte etliche
Mühe, meine zollfrei gekauften Büchsen Bier zu verstauen.
Auf Aland wird zwar schwedisch gesprochen, es gehört aber zu Finnland. Vom
Preisniveau her ist in Skandinavien Finnland am günstigsten, Schweden ist etwa
auf dem Schweizer Level und Norwegen ist am teuersten.
Die Fahrt durch die Schären war sehr abwechslungsreich, erzwangen doch die
tausenden von kleinen Inseln eine ständige Kurskorrektur von der Fähre. Bei
einer Temperatur von 30 Grad genoss ich die Sonne und die Meeresluft auf
Oberdeck.
Bei der Suche nach einem geeigneten Platz für mein Zelt in Mariehamn hatte ich,
zum Glück, meinen einzigen Sturz während der Reise. Auf einer sandigen Strasse
im Campingplatz übersah ich einen Stein, an dem ich dann prompt mit dem
Ständer hängenblieb und seitwärts umkippte. Ausser ein paar Kratzern an der
Karosserie und einem verbogenen Rückspiegel war aber nichts passiert.
An den sanitären Anlagen an merkte man, dass man nicht mehr in Schweden ist. Es
hatte stinkende Plumpsklos und aus der Dusche kam nur kaltes Wasser.
Da es Samstag war, waren viele Schweden hier, die hier ihr Wochenende
verbrachten. Neben meinem Zelt war eine Gruppe schwedischer Jugendlicher, welche
Unmengen Bier tranken und dann mit den Büchsen die Bäume schmückten.
Irgendwie beneideten sie mich um meinen neuen Roller, denn ich hörte immer
wieder das Wort 'Scooter'. Als sie dann Bierdosen und Steine herumwarfen und
einer mein Zelt traf, beschwerte ich mich bei
der Platzleitung, danach hatte ich Ruhe vor ihnen.
Am Abend wanderte ich die zwei Kilometer vom Zeltplatz nach Mariehamn zu Fuss,
denn in Finnland gilt die 0.2 Promille-Grenze. Unterwegs quatschten mich ein
paarmal junge Leute in Schwedisch an, doch nach dem Aerger auf dem Campingplatz
ging ich schnell weiter. Nach einer Weile entdeckte ich, wonach sie suchten. In Mariehamn fand ein grosses
Konzert, das Alandia-Jazz-Festival, statt. Den
weiteren Suchenden konnte ich dann den Weg weisen.
In der Gartenbeiz einer Pizzeria winkten mich zwei angeheiterte Typen an ihren
Tisch. Der eine hiess Ola und war ein grosser, beleibter Kerl, der ein bisschen
Deutsch sprach. Sein Kollege sprach gut Englisch und sagte mir, dass
er seit kurzem geschieden sei. Mir passte nicht, wie arrogant sich Ola
aufführte und wie er seinen Kollegen als blöd darstellte. Sie schleppten mich
in eine Disco, wo ich eine gereizte Stimmung feststellte. Die Frauen schauten
finster drein und an der Bar musste
man froh sein, wenn man etwas zu trinken bekam.
Am Morgen hatte ich einen schweren Kopf. Ich
wollte den Platz meines Zeltes verschieben und begann den Schlafsack
einzurollen. Als ich hörte, dass die Jugendlichen neben mir ihre Zelte
abbrachen, liess ich es bleiben. Zur Erkundung der Insel fuhr ich dann gegen
Norden. Bei einem 50 Meter hohen, hölzernen Aussichtsturm machte ich halt und
genoss die Gegend von oben.
Danach hatte ich keine Lust mehr einfach herumzufahren und freute mich auf den
Strand beim Campingplatz. Unterwegs begegnete mir noch der Goldwing-Cowboy,
welcher mir zuwinkte.
Am Strand kam ich mit einer Frau ins Gespräch. Sie
hiess Gitta, kam aus Amsterdam und war in Stockholm in den Ferien, um Schwedisch
zu lernen. Sie verbrachte hier das Wochenende auf Aland um zu lesen. Es gefiel
mir, mich mit ihr auf deutsch unterhalten zu können. Sie erzählte mir, dass sie als Kindergärtnerin interessiert an Märchen sei.
Schweden habe in dieser Literatur eine führende Stellung und die Figur des
Trolls sei weltberühmt. Sie wollte nach dem Sprachstudium selber Bücher vom
Schwedischen ins Deutsche übersetzen. Die Zeit ging wie im
Flug vorbei und ich verabschiedete mich von ihr, denn sie
musste auf die Fähre nach Stockholm.
Da die Fähre erst um zwei Uhr nachmittags
ablegte, konnte ich am Morgen noch auf die Bank, um Schecks einzulösen. Die 500
Franken reichten mir dann bis nach Polen, denn das Baltikum ist für unsere
Begriffe extrem günstig.
Vor der Bank betrachtete ein deutsches Ehepaar meine Suzuki. Der Mann hatte
richtig Freude daran, dass es immer noch so Idealisten gibt, die so weit mit dem
Roller fahren. Er sei vor 35 Jahren mit einem Heinkel Tourist über unwegsame
Schotterpisten bis zum Nordkapp gefahren. Aus Geldmangel habe er sich von
Forellen aus norwegischen Flüssen und Seen ernährt. Jetzt waren sie mit einer
Jacht unterwegs, doch zum Baltikum würden sie nie aus Angst vor Kriminellen
schippern.
Dann war es Zeit geworden, sich von Aland zu verabschieden. Die Viking-Fähre war zehn Stockwerke hoch und mit allem, vom Schwimmbad bis zur
Disco, ausgestattet. Die schöne Fahrt an den zahllosen Inseln vorbei dauerte
fast sechs Stunden bis nach Turku.
Das Campinggelände in Turku war riesig,
weshalb ich ausnahmsweise aus Bequemlichkeit den Roller zum Toilettenbesuch
benützte.
Früh am Morgen weckte mich die Sonne, welche
das Zelt schnell auf unerträgliche Temperaturen aufheizte. Es war schon
ungewöhnlich für mich, dass es von morgens um drei bis abends um elf hell ist.
Zum Schlafen legte ich mir immer ein Tuch über die Augen, damit es
einigermassen dunkel war. Von den berüchtigten Stechmücken merkte
ich kaum etwas, höchstens am Abend nervten mich ein paar davon. Zum Glück hatte ich
Antibrumm-Forte dabei und somit einigermassen Ruhe vor ihnen.
Das Wetter in Finnland bestand dieses Jahr nur aus Sonne und Temperaturen bis 30
Grad. Weil ich in den Handschuhen zu sehr schwitzte, fuhr ich ohne herum. Am
Abend bemerkte ich, dass ich einen Sonnenbrand an den Handrücken erlitten
hatte. Letztes Jahr musste ich vor dem Regen flüchten, dieses Jahr vor der
Sonne. Auf den Zeltplätzen hielt ich immer zuerst Ausschau nach einem
schattigen Platz.
In der Nähe meines Zeltes war ein älteres deutsches Ehepaar mit einem betagten
Ford Transit, der aber sehr gepflegt aussah. Sie erzählten, dass sie damit
schon am Nordkapp waren. Sie seien schon ohne Licht gefahren, hätten
den Motor abgestellt und gelauscht, aber Elche hätten sie leider noch nie in
der freien Natur gesehen.
Auf den Zeltplätzen in Skandinavien ist der Kontakt unter Campern praktisch
Null. Man wird zwar angestarrt, aber nicht gegrüsst. Ausser Deutsche und
Holländer reagieren die Leute auf ein Ansprechen eher verärgert.
Jetzt musste ich mich entscheiden, ob ich noch bis zum Polarkreis in Rovaniemi
nach Norden fahren wollte. Das schöne Wetter sprach dafür, die Einsamkeit auf
den finnischen Strassen und Campingplätzen dagegen. Zudem ist Finnland völlig
flach und die Strassen gehen immer geradeaus durch die unendlichen Wälder. Ich
entschied mich für eine Rückkehr nach Süden, damit ich mehr Zeit hatte, das
Baltikum, Polen und Tschechien anzuschauen.
Nach der Tour war ich froh um diese
Wahl, ist doch der Osten historisch und architektonisch interessanter als Lappland. Der einzige Nachteil
war: Ich konnte
mit keiner Fahrt zum Polarkreis prahlen.
In Richtung Süden spürte ich einen extremen
Gegenwind, was auf eine Wetterveränderung schliessen liess. Bis kurz vor
Helsinki fuhr ich alles auf Landstrassen. Die Stadt wird von drei Autobahnringen
umgeben, aber da ich keine Ahnung hatte, welchem ich folgen sollte, fuhr ich
geradewegs ins Zentrum. Dort war es drückend heiss und vor allem die Taxis
waren rücksichtslos unterwegs. In der Innenstadt bestanden alle Strassen aus
Kopfsteinpflaster, was für mein Hinterteil gar nicht wohltuend war. Zudem
klapperte etwas im Roller-Vorderteil. Es war die Windschutzscheibe, deren
Schrauben sich gelöst hatten und welche ich bis nach Hause noch dreimal
nachziehen musste.
Der Campingplatz war vom Fährhafen aus gut ausgeschildert, doch leider über 10
Kilometer vom Zentrum entfernt.
Neben meinem Zelt war dasjenige einer Frau aus
Amsterdam. Sie lebte schon seit drei Monaten hier und ging einer Beschäftigung
als Wahrsagerin und Handauflegerin nach, um sich Kost und Logis zu verdienen. Da
ich überhaupt nichts von solchen Ritualen halte, war eine Unterhaltung bald
beendet. Etwas belustigt sah ich, dass sie nach chinesischem Brauch einen Kreis aus Steinen und Aesten um
ihr Zelt gelegt hatte, um böse Geister fernzuhalten.
An diesem Tag wollte ich Helsinki und vor allem
die alte Festungsinsel Suomenlinen anschauen. Die Insel war mit einer kleinen
Personenfähre in einer Viertelstunde zu erreichen. Beim Rundgang um die Insel
begann es zu regnen, doch es war trotzdem
schön, die alten Gemäuer und Kanonen zu bestaunen.
Im Hafen von Helsinki kaufte ich mir bei Eckerö-Line ein Ticket für die
Ueberfahrt am nächsten Tag nach Tallinn.
Zurück auf dem Zeltplatz erinnerte ich mich an die zehn Ansichtskarten, welche
ich in Aland mitsamt Briefmarken gekauft hatte. Sofort schrieb ich an alle
Verwandten und Bekannten, denn
morgen früh um Acht Uhr wollte ich Finnland verlassen. Da ich an diesem Tag
noch nichts nahrhaftes gegessen hatte, fuhr ich nochmal nach Helsinki und warf
bei dieser Gelegegenheit die Karten ein.
Ich stand kurz vor sechs Uhr auf, denn ich
musste noch alles packen und zum Hafen fahren. Unnötigerweise regnete es noch
leicht. Dankdem in der Innenstadt wenig Verkehr war und ich mir den Weg am
Vortag gemerkt hatte, kam ich frühzeitig bei der Fähre an.
Beim Anbinden des Rollers sah ich ein junges finnisches Paar, das auf einer
alten 200-er Vespa unterwegs war. Sie wollten das Wochenende in einem Hotel in
Pärnu verbringen und dann wieder zurückfahren.
Kaum hatte das Schiff abgelegt, waren die Bars auch schon umlagert. Mir stand
der Sinn mehr nach Tee und Kaffee als nach Bier und Wodka. Nach dem Frühstück
ging ich aufs Oberdeck und bemerkte, dass die Fähre ziemlich rostig war. In der
Mitte der vierstündigen Ueberfahrt fuhr das Schiff in eine dunkle Wand aus
Nebel und Regen. Die Fahrt wurde unruhig und ich auch, denn mir kam die Estonia
in den Sinn. Zum Glück kam kurz vor Tallinn die
Sonne zum Vorschein.
Im Hafen mussten wir eine Stunde auf die Zollabfertigung warten, denn die
Beamten waren gerade in der Mittagspause.
Etwas ausserhalb von Tallinn sah ich den Fernsehturm, in dessen Nähe der
Campingplatz war. Doch alle Strassen führten vom Turm weg oder endeten in
Sackgassen. In einer Quartierstrasse sprang mich plötzlich ein Rottweiler an,
der aber gottseidank einen Maulkorb trug. Schlussendlich fand ich den Weg zum Turm
und schlug mein Zelt auf. Ausser mir war nur noch das Zelt eines holländischen
Ehepaars und zwei deutsche Wohnmobile dort. Die Holländer waren mit den
Fahrrädern in St.Petersburg gestartet und wollten noch bis Vilnius radeln.
Im Gelände befand sich auch ein Restaurant, das am Abend gut besucht von
Einheimischen war. Ich staunte, was für neue und teure Autos auf dem Parkplatz
standen.
Am Morgen liess ich aus Angst vor Diebstahl
alles Gepäck auf dem Zeltplatz zurück und fuhr zur Stadtbesichtigung
nach Tallinn. Dies hatte zur Folge, dass ich nochmals zurück musste, um das
Zelt zu holen. Dies wäre nicht nötig gewesen, denn ich fand in Tallinn einen
bewachten Parkplatz.
Von den Haupstädten Tallinn, Riga und Vilnius hat mir Tallinn am besten
gefallen. Die mittelalterlichen Stadtmauern und die Altstadt sind noch fast
vollständig erhalten.
Im Osten ist mir aufgefallen, dass das Personal in Läden und Restaurants
gegenüber Kunden sehr unfreundlich wirken. Auskünfte werden keine gegeben, das
Rückgeld wird trotz hingestreckter Hand auf den Tresen geknallt
und "Auf Wiedersehen" wird nie gesagt.
Aber es gibt auch freundliche Menschen. Einmal ging mir das Benzin kurz vor der
lettischen Grenze aus. Ein Knabe kam sofort
angeradelt und fragte, ob er etwas helfen könne. Einmal verlor ich Geld in
einer Tankstelle bei Riga. Sofort kam mir jemand nach und gab es mir zurück.
In Pärnu fand ein Musikfestival statt, an dessen Rande viele Zelte standen. Ich
zog es vor, einen ruhigen Zeltplatz in 10 Kilometer Entfernung aufzusuchen, was
sich aber im nachhinein als Irrtum erwies. Nach dem Aufstellen des Zeltes fuhr
ich nochmals nach Pärnu, um etwas zu essen. In einer Gartenbeiz mit Grill
genoss ich einen feinen Spiess mit Salaten. An
meinem Tisch sass noch ein junges Paar aus Tallinn, welches etwas Englisch sprach.
Sie luden
mich in die Disco ein, in die sie gehen wollten. Ich sagte ihnen, dass ich müde
sei und ging noch kurz ans Meer, um die Abendstimmung zu geniessen.
Zurück auf dem Zeltplatz stellte ich fest, dass eine Liveband in voller
Lautstärke spielte. Die Musik war gut und die Stimmmung fröhlich, sodass ich
bis um zwei Uhr morgens zuschaute. Die Leute fassten sich an den Händen,
bildeten einen grossen Ring und tanzten estnische Volkstänze.
Danach wollte ich zur Nachtruhe schreiten, doch daraus wurde nichts. Einer holte
seinen Audi 100, öffnete alle Türen und liess bis fünf Uhr morgens Techno
dröhnen. Dies erlebte ich auch auf anderen Campingplätzen im
Osten, dass am Freitag und Samstag kaum an Schlaf zu denken ist; dann
werden Privat- und Firmenfeste auf den Campingplätzen abgehalten,
Nachtruhezeiten sind unbekannt.
Ich fand es aber positiv, dass die restlichen Campeure stets tolerant waren und dass
trotz reichlich Wodka nie eine agressive Stimmung aufkam.
18.7.99: Pärnu-Jurmala bei Riga
Richtung lettische Grenze hatte es immer weniger
Verkehr. Der Grenzübertritt und der Geldwechsel von estnischen Kronen in Lats
verliefen reibungslos, ausser dass sie Schweizer Franken nicht kannten und
demzufolge auch nicht wechselten. Richtung Riga nahm der Verkehr immer mehr zu,
weil sich scheinbar halb Lettland an diesem
Sonntag an den Sandstränden zwischen Riga und der Grenze versammelte.
Von Riga aus waren es noch zirka 40 Kilometer bis zum Badeort Jurmala. Kurz
davor war eine Zollstation vom Kurverein, denn per kostenpflichtiger
Strassenbenützung wollte man den Durchgangsverkehr fernhalten.
Eine hilfsbereite junge Frau fragt mich nach meinem Ziel. Sie hatte wie
ich in England einen Sprachaufenthalt gemacht und sprach sehr gut Englisch. Sie
empfahl mir den Campingplatz beim Aquapark Nemo und telfonierte dorthin, ob noch
Platz vorhanden sei. Dann gab sie mir noch Prospekte und einen kostenlosen
Passierschein mit.
Der Zeltplatz war spartanisch eingerichtet, eine Dusche fehlte und das Wasser in
den Waschbecken lief auch nur zeitweise. Doch für zwei Franken
Uebernachtungsgebühr kann man keinen Luxus erwarten. Dafür hatte es Wasserrutschbahnen,
Restaurants und das Meer in unmittelbarer Nähe.
Riga war mir am Abend für einen Besuch zu weit entfernt, darum wollte ich
Jurmala erkunden. Weil in Estland und Lettland die Alkoholgrenze bei 0.0
Promille lag, ging ich zu Fuss. Als ich nach über zwei Kilometern Marsch kein
Restaurant fand, kaufte ich mir in einem Laden etwas fürs Nachtessen ein. Im
bedienten Laden merkte ich, wie mühsam es ist, wenn man keine gemeinsame
Sprache spricht. Mit Händen und Füssen versuchte ich zu beschreiben, was ich
bekommen wollte. Unter anderem deckte ich mich mit Debreziner-Würsten ein. Sie entsprechen
im Osten dem, was für uns Wiener oder Frankfurter
sind. Senf suchte ich im ganzen Baltikum vergebens. Ich staunte nicht schlecht,
wie wenig ich für die ganze Tasche Esswaren zahlen musste.
Auf dem Zeltplatz angekommen, sah ich zwei neu angekommene Motorräder dastehen.
Dies wäre in der Schweiz nicht der Rede wert, doch im Baltikum ist jedes
Motorrad eine Seltenheit. Auch um meinen Roller scharten sich oft Leute, um ihn
von allen Seiten zu betrachten. Im ganzen Baltikum begegnete ich keinen 10
Motorrädern.
Das eine Motorrad gehörte einem finnischen Paar, welches nicht sehr
kommunikativ war, das andere einem jungen Deutschen, der sich als Markus
vorstellte. Ich war erstaunt zu hören, dass er genau die gleiche Route fahren
wollte wie ich, einfach in der umgekehrten Richtung. Doch die schlechten
polnischen Strassen hatten ihm zugesetzt und er litt unter Rückenschmerzen. Da
eine Weiterfahrt mit Schmerzen unvernünftig war, beschloss er umzukehren und
mich dabei bis Palanga bei Klaipeda zu begleiten. Seine wilde Bekleidung und
seine Geländemaschine mit Fellüberzug täuschten über seine wahre Art. Wir
verstanden uns auf Anhieb gut.
Am Morgen bemerkte ich, dass Markus gar kein
Zelt dabei hatte, sondern einen Regenponcho als Zeltblache benütze. Solange es
wenig regnet und es keine Mücken hat, funktionierte das schon. Ich machte mich
auf den Weg, um einzukaufen und das alte Strandhotel zu besichtigen, das ich in
meinem Reiseführer gesehen hatte. In einer Gartenbeiz genoss ich gerade einen
Kaffee, als sich ein alter, zahnloser Mann neben mich setzte und mich auf
Russisch ansprach. Er füllte ein Mineralglas mit Wodka und wollte mit mir, dem
"Germanski", "Briiderschaft" trinken. Als ich dankend ablehnte und auf meinen Roller
deutete, wurde er sauer, trank das Glas selber aus und zog wieder ab.
Da ich das Strandhotel nicht fand, fuhr ich zurück zum Zeltplatz. Markus war am
Strand, doch zum Baden hatte er keine Lust. Beim Hineinwaten ins Meer merkte ich
den Grund dafür: Das Wasser war voller brauner Algen und stank. Es ist schade,
dass das Meer bei jeder grösseren Ortschaft verschmutzt ist, weil früher
Kläranlangen unbekannt waren und jetzt erst nach und nach gebaut werden, falls
überhaupt. Als wir genug hatten vom Strand gingen wir in den Aquapark.
Am Abend wollten wir uns im Zentrum von Jurmala umsehen. Um ohne schlechtes
Gewissen ein Bier trinken zu können, nahmen wir einen Kleinbus, der mehrmals
täglich von Jurmala nach Riga fährt. Das Zentrum bestand nur aus einer 300
Meter langen Fussgängerzone mit einem Dutzend Restaurants. Nach einem guten und
günstigen Nachtessen vertraten wir unsere Beine am Strand. Beim Betrachten des
Sonnenunterganges bemerkte ich das Strandhotel, welches ich am Morgen vergeblich
gesucht hatte.
Nach elf Uhr abends war die Fussgängerzone menschenleer, nur eine Gruppe junger
Russen begegnete uns. Einer von ihnen hörte
uns deutsch sprechen und wollte auf uns los, wurde aber zum Glück von seinen
Kollegen zurückgehalten. Wir zogen es vor, mit dem Taxi zum Camping zu fahren.
Verglichen mit den sonstigen Preisen war die Taxifahrt teuer, vermutlich
bezahlten wir einen speziellen Touristentarif.
Am Morgen fuhren wir zuerst nach Riga, um die
Hauptstadt Lettlands näher kennezulernen. Es herrschte ein völliges
Verkehrschaos, alle Parkplätze waren besetzt und es war drückend heiss. So
liessen wir es beim Anblick der Freiheitsstatue bewenden und flüchteten aus der
Stadt.
Schon nach einigen Kilometern waren wir praktisch alleine unterwegs. Wir hatten
uns auf eine Reisegeschwindigkeit von 95 Stundenkilometern geeinigt, damit ich
mit dem Roller mithalten konnte.
Am Zoll nach Litauen erhielten wir je einen Laufzettel, auf den die Zöllner an
sechs verschiedenen Posten ihre Stempel drückten. Ein Posten war für den Pass
zuständig, einer für den Fahrzeugausweis und einer für den Führerschein,
und das auf beiden Seiten der Grenze. Am Schluss der Prozedur mussten wir das
Papier abgeben. Wir merkten, dass die Leute stolz auf ihre erst seit 1993
wiedererlangte Staatssouveränität waren.
Kurz vor Siauliai bogen wir links ab, um den Berg der Kreuze zu besichtigen. Der
Grabhügel war nicht gross, aber über und über mit tausenden von Kreuzen in
allen Grössen geschmückt.
In Richtung Palanga war es schön, vorbei an Storchennestern, dem Meer und der
sinkenden Sonne entgegenzufahren. Vor Palanga quartierten wir uns im erstbesten
Campingplatz ein. Erst später sahen wir, dass
es besser ausgestattete und näher am Zentrum liegende Zeltplätze gegeben
hätte. Dafür
war der Platz schattig, ruhig und billig.
Nach dem Zeltbau fuhren wir ins Zentrum, um einzukaufen. Wir staunten nicht
schlecht, wie belebt und luxuriös dieser
Ferienort war. Am Eingang eines Supermarktes stand ein Gorilla, der uns den
Eingang verwehrte. Da niemand eine Tasche in den Laden mitnahm, gaben wir unsere
Helme ab, denn wir hätten ja darin etwas verstecken können. Auch beim zweiten
Versuch scheiterten wir am Türsteher. Jetzt bemerkten wir, dass jeder, der
Einlass fand, einen Einkaufskorb trug. Da keine mehr vorhanden waren, musste man
der Kasse anstehen um einen freien zu ergattern. Jetzt durften wir endlich
einkaufen gehen: Andere Länder, andere Sitten.
Bei einem Bier unterhielten wir uns am Abend lange vor dem Zelt über Gott und
die Welt. Als dann ein Gewitter kam, bot ich Markus einen Platz im Zelt an.
Am Vormittag besuchten wir den riesigen
Stadtpark mit dem Bernsteinmuseum. Es war interessant, die millionen Jahre alten
Harze mit den eingeschlossenen Insekten durch Lupen zu untersuchen.
Danach flanierten wir durch die Fussgängerzone, an der sich ein Restaurant an
das andere reihte, zum Strand. Hier herrschte ein solcher Andrang, dass man vor
lauter Menschen den Sand kaum sah. Im Meer draussen erblickten wir eine grosse
Wolke und Minuten später war der Strand in Nebel eingehüllt.
In einem Strassencafé nahmen wir das Mittagessen ein. Wir waren erstaunt, wie
ruhig und diszipliniert alle Leute waren, sogar von den Kindern hörten wir
überhaupt nichts. Bei uns lässt man den Kindern alles durchgehen und hier im
Osten schien die Erziehung sehr streng zu sein. Als ein Mädchen am Nebentisch
von einer Wespe gestochen wurde, begann es zu weinen. Seine Mutter zischte ihm
etwas zu, daraufhin verstummte es sofort. Was uns auch erstaunte war der
Körperbau von den Leuten hier. Alle waren schlank und gross, dicke Leute
sahen wir keine.
Am Nachmittag begann es zu regnen. Wir gingen zur Touristeninformation, um uns
nach einer guten Discothek für den abendlichen Ausgang zu erkundigen. Die Frau
dort fragte uns augenzwinkernd, ob wir selber tanzen
wollten oder nur zusehen. Als wir das erstere nannten, gab sie uns die Adressen
von zwei Diskotheken.
Nach einem guten Nachtessen und einem Rundgang durch die Fussgängerzone gingen
wir in eine der Discos. Mir fiel auf, dass die Leute dort alle aufgestellt
waren und Freude an der Musik hatten. Die Tanzenden schienen die Atmosphäre zu
schätzen und wirkten nicht so übersättigt wie die Leute im Westen.
Ich musste sofort an die Disco in Aland denken. Hier in Palanga war es mir
bedeutend wohler. Leider war es fast unmöglich sich mit den Menschen, die
kaum Englisch sprachen, zu unterhalten.
Nach drei Uhr leerte sich die Disco und wir traten die Rückfahrt zum Zeltplatz
vorsichtig auf kleinen Nebenstrassen an, da
wir etwas getrunken hatten.
An diesem Tag gings nach Klaipeda (Memel),
um uns mit der Fähre auf die kurische Nerung übersetzen zu lassen. Diese
Landzunge aus Sand reicht von Kaliningrad (Königsberg) bis einen Kilometer vor
Klaipeda, ist 80 Kilometer lang und durchschnittlich 1 Kilometer breit.
Früher beging man den Fehler, den Wald abzuholzen, worauf die Dünen zu wandern
anfingen und mehrere Dörfer unter sich
begruben. Jetzt ist das meiste wieder aufgeforstet und unter Naturschutz
gestellt. Kurz vor Juodkrante stand ein Zollhaus, bei dem man eine
Eintrittsgebühr ins Naturschutzgebiet entrichten musste.
Es war eindrücklich, von der höchsten Düne aus den Unterschied zwischen dem
von den Klaipedener Abwässer bräunlich gefärbten,ruhigen Haff und der
dunkelblauen, stürmischen Ostsee zu betrachten. Später liess es sich Markus
nicht nehmen, sich in die meterhohen Wellen zu stürzen. Mir war das zu kalt und
so konzentrierte ich mich aufs fotografieren.
Kurz vor dem unserem Zeltplatz sahen wir ein Schild, auf dem "Schaschlik" stand.
Mitten im Wald hatte ein russiches Paar ein Partyzelt aufgestellt und bot grosse
Fleischspiesse mit Reis und Salat für umgerechnet drei Franken an. Da wir
hungrig waren, griffen wir bei diesem Angebot erfreut zu.
Kaum beim Zelt angelangt erschien die Nachbarin mit ihrem kleinen Sohn. Sie war
die einzige auf dem Platz, welche sich mit uns Fremden unterhielt. Ihr Kleiner habe
den ganzen Tag von unseren Motorräder geschwärmt und ob er sie nicht aus der
Nähe betrachten dürfe. Wir liessen ihn sogar auf beiden Maschinen probesitzen,
worauf er vor Freude fast weinte.
Ich fuhr noch schnell nach Palanga, um die Fotos zu holen, welche ich am Vortag
zur Entwicklung abgegeben hatte. Eine Menge Leute warteten, doch die Fotografin
winkte mir beim Eintreten sofort zu und sagte auf Englisch, wie gut ihr meine
Fotos gefallen hätten. Sie führte mich zum Schaufenster, wo zwei Fotos von mir
als Poster hingen, eine Gewitterstimmung bei Pärnu und ein Mitternachtsbild von
Tampere. Zuerst wusste ich nicht, ob ich wegen verletzter Copyright-Rechte
wütend werden sollte. Doch dann bedankte ich mich und verliess stolz das Geschäft.
Da Markus am nächsten Tag nach Polen und ich nach Vilnius fahren wollte, war
dies unser letzter gemeinsamer Abend. Mit Proviant und ein paar Bier gingen wir zum Strand und entfachten ein
Lagerfeuer. Doch kaum hatten wir uns hingesetzt zuckten Blitze vom Himmel und es
goss wie aus Kübeln. Fluchtartig rannten wir zum Zelt, doch Markus wurde ohne
Regenschutz tropfnass. Nach dem Gewitter setzte er sich an ein Lagerfeuer auf
dem Campingplatz und bekam Wodka zum Aufwärmen offeriert.
23.7.99: Palanga-Trakai bei Vilnius
Nachdem wir unsere Adressen ausgetauscht hatten,
fuhr Markus eine Stunde vor mir los. Ich war überrascht von der neuen Autobahn,
welche direkt von Klaipeda nach Vilnius führte. Das Wetter war recht kühl und
windig. Man wusste nie, wann es zu regnen begann, doch zum Glück waren es nur
einzelne Tropfen.
Ich bemerkte die grosse Anzahl von Autostoppern, vor allem in der Nähe von
Städten. Die meisten Anhalter wurden auch prompt mitgenommen, was bei uns
höchstens früher einmal so war.
Der Campingplatz, der 30 Kilometer vor Vilnius lag, war ein Tip von Markus
gewesen. Der Platz lag sehr schön an einem See mit Blick auf das Wahrzeichen
Litauens: Schloss Trakai.
Nach dem Einkaufen in Trakai und dem Verzehr eines Grillspiesses wollte ich mich
zur Ruhe begeben. Doch es war wieder Freitag und so dauerte die Musik und der
Lärm bis frühmorgens.
Am Morgen besichtigte ich das Schloss. Dabei
traf ich ein dänisches Paar auf einem alten BMW-Motorrad und wir tauschten
unsere Erfahrungen aus.
Im Gegensatz zum Vortag war das Wetter schön und heiss, sodass ich ein Bad im
See nahm. Da ich überhaupt keine Wasserratte bin, begab ich mich auf der ganzen
Reise höchstens dreimal ins kühle Nass.
Am späteren Nachmittag löschte ich meinen Durst mit einem Bier und fuhr dann
los, um Vilnius zu besuchen. Da mehrere
entgegenkommende Autos die Lichthupe betätigten, vermutete ich sofort die
Polizei irgendwo und fuhr langsam. Nach einer Kurve winkte mich ein Polizist
heraus und roch das Bier. Im Streifenwagen musste ich blasen und erhielt das
Resultat von 0.3 Promillen, was angesichts der Grenze von 0.4 noch
erlaubt war. Der fliessend deutsch sprechende Polizist war
anständig und verlangte nach den Papieren. Da ich diese auf dem Zeltplatz
vergessen hatte, schickte er mich los, sie zu holen. Als ich zurückkam, war der
Streifenwagen verschwunden.
Ich fuhr weiter nach Vilnius und nahm mir vor, dort keinen Tropfen Bier mehr zu
trinken. Nach der Besichtigung der Altstadt trank ich in einem Pub eine Cola und
dachte an Markus. Vor allem am Abend in einer fremden Stadt merkt man es
besonders, wenn man alleine unterwegs ist.
Wieder auf dem Zeltplatz entdeckte ich vier getunte Ford Capris direkt neben
meinem Zelt. Ich setzte mich zu den Leuten und erhielt von einem
deutschsprechenden Typen ein Bier offeriert. Er erzählte mir, dass sie aus
Vilnius und Riga kämen und am Wochenende oft gemeinsame Touren unternähmen. Er
hatte versucht, in Trakai ein Restaurant zu eröffnen, doch ohne gute
Verbindungen zur Mafia sei das unmöglich. Aus diesem Grund habe er schon als
Koch in Deutschland und der Schweiz gearbeitet.
An diesem Tag war schönes Wetter, doch es ging
ein massiver Westwind. Auf Nebenstrassen genoss ich
die Seen- und Hügellandschaft Litauens in Richtung polnischer Grenze.
Auf dem Lande fielen die sozialen Unterschiede am stärksten auf. Einerseits sah
man die armen Bauern mit ihren Pferdefuhrwerken, andererseits brausten
Städter mit ihren westlichen Luxuskarossen vorbei.
An einem Imbissstand trank ich einen Kaffee, doch die alte Frau schien mich
weder auf Englisch noch auf Deutsch zu verstehen. Weil es sehr wenig kostete,
gab ich ihr noch ein anständiges Trinkgeld, worauf sie sofort mit "Auf
Wiedersehen und gute Reise" antwortete...
Bei einer Tankstelle bestaunten zwei Jugendliche meinen Roller. Als ich ihnen
erklärte, dass dies eine Suzuki 125 ist, antworteten sie mit
"Japanski", konnten aber mit Namen wie Suzuki, Honda oder Yamaha
nichts anfangen, denn sie kannten nur Dnjepr, Minsk, etc. Als weitere Auskünfte gab ich ihnen den Verbrauch mit 4 Litern
auf 100 Kilometer und eine Spitzengeschwindigkeit von etwa 100 km/h an. Darauf
meinte der eine, dass seine Minsk mit 350 ccm und einem Verbrauch von 7 Litern
keine 90 Stundenkilometer schaffe. Dafür hatte seine Minsk überhaupt kein
Plastik dran und war dementsprechend robust und langlebig.
Vor der polnischen Grenze stauten sich die Lastwagen auf mehrere Kilometer und
auch die Personenwagenabfertigung ging sehr schleppend vor sich. Ich sah drei
Fahrstreifen, einen für Lastwagen, einen für Autos und einen leeren. Nach
einer halben Stunde warten fragte ich einen Zöllner, ob die dritte Spur vielleicht
für Motorräder sei, worauf er mich mürrisch durchwinkte.
In einem Restaurant kurz hinter der Grenze traf ich vier Harley-Fahrer aus
Finnland. Sie erzählten, dass sie vier Stunden an der Grenze gewartet hätten
und jetzt ohne Halt Polen durchqueren wollten, weil sie Angst vor Diebstahl
hätten.
Die Strasse nach Goldap führte durch schöne Landschaften, war aber schmal und
in miserablem Zustand. Müde und mit schmerzendem Hintern schlug ich das Zelt
auf und freute mich auf einen Schaschlik. Doch im Campingrestaurant gabs nur
Fertigpizza aus dem Mikrowellenofen. So beliess ich es mit einem guten
polnischen Bier und sprach mit dem jungen Besitzer, der gut Englisch konnte. In
Polen sei der Alkoholausschank kein Problem, sobald man aber Essen zubereitete,
würden die Auflagen enorm hoch.
Die Sonne weckte mich um 5 Uhr. Die Stimmung mit der aufgehenden Sonne, welche in die Nebelbänke über dem nahegelegenen See schien war so toll, dass ich aus dem Schlafsack kroch und einige Fotos machte. Normalerweise fuhr ich stets zwischen 10 und 11 Uhr los, doch an diesem Tag war ich schon um 8 Uhr unterwegs.
Auf der Landstrasse versperrte mir eine Schülerprozession den Weg, welche
Heiligenbilder und Kreuze trug. Ueberall in Polen sah man Kreuze und kleine
Kapellen, dennoch klauen diese frommen Leute alles, was nicht niet- und
nagelfest ist. Scheinbar ist das kein Widerspruch, entweder ist es in der Natur
des Menschen oder in der Armut begründet. Markus hatte erzählt, dass er nach
einer kurzen Rast in Polen seinen Fotoapparat vermisste...
Die Fahrt durch die Masuren mit den zahlreichen Seen und den Storchennestern war
sehr schön und wurde nur von den Schlaglöchern in den Strassen getrübt.
In der Nähe von Ketrzyn besichtigte ich die Wolfsschanze, das ehemalige
Führerhauptquartier von Hitler. Da alles von den Deutschen beim Abzug gesprengt
worden war, konnte man sich nur noch von aussen von der massiven Bauweise der
Bunker überzeugen.
In Mikolajki fand ich einen Campingplatz, der auf einem Hügel nur einen
Kilometer vom Zentrum entfernt lag. So konnte ich bequem zu Fuss hingehen, was
angesichts des starken polnischen Biers von über 7 Prozent auch besser
war. Die Masuren sind ein Eldorado für Segler. Am Hafen von Mikolajki waren
hunderte von Segelbooten angebunden. In einer Gartenbeiz kam ich mit
Jugendlichen aus Warschau ins Gespräch, welche ihre Ferien auf Segelbooten
verbrachten. Sie kamen offensichtlich aus reichen Familien, denn sie hatten
pro Segelboot auch noch einen erfahrenen Skipper
gemietet und mussten im Restaurant nicht aufs Geld schauen. Sie besuchten
Privatschulen und sprachen dementsprechend gut Englisch. Wie bei allen Seeleuten
floss reichlich Alkohol, die Jungen tranken
Bier, die Mädchen Zebrowka, eine Mischung aus Apfelsaft und Wodka.
An diesem Tag schlief ich zuerst aus und
besichtigte dann Mikolajki, das im Sommer neben den 5000 Einwohnern bis zu 20000
Touristen beherbergt.
Ich staunte, wie schnell ich mit dem gemieteten Kanu
vorwärtskam, nur das Ein- und Aussteigen war wegen dem Kippen gefährlich.
Frühmorgens verliess ich die Masuren in
Richtung Warschau. Oft winkten mir Kinder freudig zu, als sie meinen
vollbepackten Roller erblickten. Kurz nach Mittag erreichte ich Warschau und
verpasste im Verkehrsgewühl die Strasse nach Krakau, sodass ich auf dem
Flughafen ankam und zurückfahren musste.
Ich ärgerte mich, dass es in Polen praktisch keine Autobahnen und keine
Umfahrung der Städte gab. Da mich einige Leute vor dem Besuch von Warschau
gewarnt hatten, beschloss ich nach Krakau weiterzufahren. Die Strassen wiesen
bis zu 10 Zentimeter tiefe Spurrillen von den Lastwagen auf und die Autofahrer
überholten trotz Gegenverkehr in halsbrecherischer Art und Weise. Einmal kamen
mir zwei Lastwagen nebeneinander entgegen und ich konnte nur mit Mühe rechts
anhalten.
Später überholte mich ein Fiat mit italienischen Kennzeichen und der Fahrer
deutete mir an, anzuhalten. Ich dachte nicht daran und fuhr weiter. Wenig
später überholte er mich wieder und drängte mich immer mehr an den rechten
Strassenrand bis zum Stillstand. Er sei bestohlen worden und ich als
Landesnachbar solle ihm 500 Mark vorschiessen. Scheinbar glaubte er mir, dass
ich ein Student ohne viel Geld sei, deshalb nur Roller fahren könne und meine
Kreditkarte auch gestohlen wurde. Als er das weitere Vorgehen überlegte riss
ich mich los und brauste angsterfüllt davon, doch im Rückspiegel sah ich ihn
nicht mehr.
Kurze Zeit später türmten sich riesige schwarze Wolken auf und ein heftiges
Gewitter entlud sich, worauf die Spurrillen sich mit Wasser füllten und noch
gefährlicher wurden. Nach über 600 Kilometern erreichte ich am Abend Krakau,
womit dies die längste Etappe meiner ganzen Tour bildete.
Der Campingplatz war gut ausgeschildert, ruhig gelegen und gepflegt. In einem
nahen Restaurant gönnte ich mir ein üppiges Mahl bestehend aus Lachs, wildem
Reis etc. für nur 12 Franken.
Durch meinem Reiseführer wurde ich aufmerksam
auf das Salzbergwerk Wiliecko in der Nähe von Krakau, das frei zur Besichtigung
ist. In einer geführten Tour wurden wir in einer Gruppe zwei Stunden lang durch
das unterirdische Labyrinth geführt. Zuerst gings über eine Holztreppe über
40 Stockwerke in eine Tiefe von 130 Metern. Danach wechselten sich enge Gänge
mit riesigen Kavernen und prächtigen Kapellen ab.
In meiner Gruppe war ein Paar aus Holland, welches auch mit dem Motorrad
unterwegs war. Sie beklagten sich, dass Krakau so teuer sei, hätten sie doch
für ein Hotelzimmer 200 Franken bezahlt. Zum Glück spürte ich davon auf
dem Zeltplatz kaum etwas. Zum Schluss sperrte man uns in einen sechsstöckigen
Förderlift und zog uns wieder ans Sonnenlicht.
Danach besichtigte ich den Wawelberg und die schöne Innenstadt von Krakau. Auf
dem riesigen Marktplatz fragte mich eine junge Frau nach einer Strasse. Mein
Stadtplan war nicht sehr detailliert und so konnte ich ihr nicht weiterhelfen. Sie
erzählte mir, dass sie eine Jus-Studentin aus Danzig sei und hier Bekannte
besuchen wolle. Sie fragt mich, ob ich auch die falsche Meinung habe, dass in
Polen soviel gestohlen werde. In diesem Moment hörten wir ein Geschrei und ein
Mann rannte mit einer Handtasche vorbei, konnte aber von einer Gruppe
Jugendlicher aufgehalten werden. Sie gab dann zu, dass dies ein Problem in Polen
sei und dass sie darum ihren Rucksack vorne trage.
30.7.99: Krakau-Jedovnice bei Blansko
Unterwegs wurde ich mit der traurigen Geschichte
des zweiten Weltkriegs konfrontiert, denn ich besuchte Auschwitz und Birkenau.
Was mich am meisten schockierte waren die Stehzellen, in denen die Gefangenen zu
viert auf 80 mal 80 Zentimeter eingesperrt wurden. Nachdem ich weinende Juden
beim Besichtigen der Todeswand und der
Gaskammer gesehen hatte, war ich froh, diesen Ort des Schreckens zu verlassen.
Der Grenzübertritt nach Tschechien verlief reibungslos, doch als ich gerade
losfahren wollte, pfiff ein Zöllner und kam mir nachgerannt. Als ich mich
erschrocken erkundete, was denn los sei, fragte er mich, ob ich ein Schweizer
Sackmesser übrig hätte. Nach dem Zoll wurden Autobahnvignetten verkauft, doch
Motorräder sind zum Glück von einer Gebühr befreit.
Der Campingplatz von Jedovnice lag idyllisch an einem See und war an diesem
Wochenende fast vollständig von Tschechen
belegt. Ich hatte mächtig Hunger, doch weil es auf dem Zeltplatz nur eine
Imbissbude hatte, ass ich ein halbes Grillhuhn. Wahrscheinlich erwischte ich
dabei Salmonellen, denn die folgenden drei Tage
litt ich unter Magenschmerzen und Durchfall.
Im Reiseführer hatte ich gelesen, dass von den
zahlreichen Höhlen im böhmischen Karst "Punkevni" am interessantesten sei,
weil man am Schluss mit einem Boot zum Ausgang gefahren wird. Auf dem Zeltplatz
hatte man mir aber gesagt, dass vor allem an Wochenende eine frühzeitige
Reservation unumgänglich sei. Ich hatte Glück und musste nur eine Stunde auf
meine Höhlenführung warten. So war noch genug Zeit, um in die imposante, 140
Meter tiefe Macoha-Schlucht hinunterzuschauen. Da ich immer noch eine halbe
Stunde zu warten hatte, beschloss ich zu
Fuss zur Höhle zu gehen und nicht die Seilbahn zu benützen.
Unterwegs fragte mich ein holländisches Paar nach dem Weg zur Höhle. Sie
hatten mit dem Ticket weniger Glück gehabt und mussten noch drei Stunden auf
ihre Führung warten. Kaum in der Höhle bereute ich, dass
ich den Faserpelz im Roller gelassen hatte. Alle Touristen hatten Jacken dabei,
nur ich schlotterte bei den 10 Grad in der Höhle. Leider waren die Kommentare
auf tschechisch, sodass ich den Inhalt nur erahnen konnte. Nach einer mir unendlich scheinenden Bootsfahrt durch das unterirdische
Labyrinth kamen wir ans Tageslicht und ich genoss die Wärme.
Am Abend ging ich nach Jevodnice um etwas zu
essen. Das holländische Paar war auch da und lud mich an ihren Tisch ein. Es
tat gut, sich wieder einmal auf deutsch unterhalten zu können.
In rasanter Fahrt gings vom böhmischen Karst
nach Brünn hinunter. Bereits nach einer Stunde befand ich mich auf dem
Zeltplatz.
Gegen Abend besichtigte ich Brünn, aber am Sonntagabend war in der Altstadt
nicht viel los. So fuhr ich bald zum Zelt zurück. Dort sah ich meine
Zeltnachbarn an einem Lagerfeuer sitzen und es schoss mir durch den Kopf, dass
heute 1. August und damit Schweizer Nationalfeiertag ist.
Mit einem Bier setzte
ich mich zu ihnen. Das Paar kam ebenfalls aus Holland und war mit den öffentlichen Verkehrsmitteln
unterwegs, was vor allem im Osten eine grosse Geduld erfordere. Als sie mir
sagten, dass sie am nächsten Tag die Höhlen besichtigen
wollten, nahmen sie meine Unterlagen und Tipps hocherfreut an.
Bald hatte ich die österreichische Grenze
erreicht. Dort kaufte ich mir ein für 2 Monate gültiges Pickerl für
einspurige Motorfahrzeuge, wie die
Autobahnvignette für Motorräder in Osterreich genannt wird.
In St.Pölten suchte ich mir wegen der Hitze einen schattigen Platz für mein
Zelt und wollte mich dann im Baggersee abkühlen. Doch die Polizei hatte den See
gesperrt und Taucher bargen kurz darauf zwei Leichen. Gegen Abend wurde das
Baden wieder erlaubt, doch mir war die Lust vergangen.
Auf dem Marktplatz von St.Pölten gab es viele Stände mit kulinarischen
Spezialitäten aus aller Welt. Wegen meinem angegriffenen Magen wurde mir von
den Düften schlecht und so fuhr ich zum Campingplatz zurück.
3.8.99: St.Pölten-Hallein bei Salzburg
Nach der langen Reise im flachen Finnland und Baltikum war der Anblick der Berge hinter Salzburg eine willkommene Abwechslung. Der Zeltplatz beim Auwirt von Hallein war schön gelegen und die sanitären Einrichtungen beinahe luxuriös.
Der Auwirt hatte jeden gewarnt, mit dem Auto
nach Salzburg hinein zu fahren, denn es gibt in der Altstadt nur
Fussgängerzonen und keine Parkplätze. Mit dem Roller konnte man bis zum Beginn
der autofreien Zone fahren und ihn dort auf einen Zweiradparkplatz stellen. Als
erstes suchte ich eine Apotheke auf und liess mir Kohletabletten geben. Von den
riesigen Touristenmassen, die sich durch die schöne Barockstadt wälzten, hatte
ich bald genug und fuhr zum kleinen Hallein
zurück.
Auf dem Dorfplatz fand ein Volksfest mit toller Stimmung statt, doch mein Magen
liess nur eine Suppe und einen baldigen
Abgang zu.
Dank den Tabletten gings mir wieder ziemlich
gut. Etwas melancholisch nahm ich diese letzte Etappe in Angriff, denn die fünf
vergangenen Wochen waren wirklich schnell vorüber gegangen.
Nirgends auf meiner bisherigen Reise durchs Flachland hatte ich so krass wie am
Arlberg gemerkt, dass ich nur mit einer 125er unterwegs war. Mit 45
Stundenkilometern kroch der vollbeladene Epicuro die 12 prozentige Steigung
hinauf. Auf dem Pass war die Kühlwassertemperatur so hoch, dass ich es vorzog
ohne Halt hinabzufahren, damit der Fahrtwind kühlen konnte.
Auf meiner Reise hatte ich gelernt, dass der Westen nicht so sicher und der
Osten nicht so unsicher ist, wie man landläufig meint.