Route 99

 

1.7.99: Zürich-Gunzenhausen bei Nürnberg

Die ganze Tour und die einzelnen Tagesetappen mit Uebernachtungszeltplätzen hatte ich im voraus zusammengestellt. Dabei dienten mir Reisebücher und Tipps von Arbeitskollegen, welche gewisse Sehenswürdigkeiten kannten. Das einzige, was noch nicht feststand, war in welcher Richtung ich beginnen sollte. Weil das Wetter in Oesterreich und Tschechien momentan schlecht war, und ich Angst vor Diebstahl in Polen und dem Baltikum hatte, begann ich meine Tour Richtung Hamburg.
Der Autozug vom Samstagabend nach Hamburg war schon seit Monaten ausgebucht, so musste ich diese nicht besonders interssante Strecke unter die eigenen zwei Räder nehmen.
Damit ich trotzdem am Sonntag in Hamburg war, startete ich am Donnerstagnachmittag. Nach Singen in Deutschland hatte ich eine wunderschöne Sicht auf den Bodensee, doch es war völlig ungewohnt, ihn aus
dieser Richtung zu betrachten. Nach Ulm begann es zu dunkeln und Nürnberg war noch über 150 Kilometer entfernt. Um halb Zehn entschied ich mich, den nächsten Campingplatz anzufahren, denn die Plätze in Deutschland schliessen ihren Empfang exakt um Zehn Uhr. Um Fünf vor Zehn erreichte ich Gunzenhausen und konnte gerade noch einchecken.
Da ich unterwegs, um Zeit zu sparen, kein Abendbrot gegessen hatte,  verspürte ich nach dem Zeltaufstellen einen Riesenhunger. Zum Glück war eine Kneipe auf dem Platz, wo ich mir eine Pizza gönnte. Letztes Jahr hatte ich Mühe, die ersten Nächte in der ungewohnten Umgebung gut zu schlafen. Doch diesmal war ich so müde, dass ich sofort in Tiefschlaf fiel.

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2.7.99: Nürnberg-Makränstädt bei Leipzig

Nach einer knappen Stunde von Gunzenhausen aus stand ich bereits auf dem Platz in Nürnberg, auf dem der berühmte Christkindlmarkt stattfindet. Ich besichtigte die grosse Altstadt, die eine einzige Fussgängerzone ist und erklomm zur besseren Uebersicht die Burg. Das Wetter war schön und ich kam dabei ziemlich ins Schwitzen.
Der Campingplatz von Mäkränstadt war schön an einem See etwas ausserhalb von Leipzig gelegen. Die Sanitäranlagen waren sehr schlicht, bestand doch die Dusche nur aus einem Raum mit drei Düsen an der Decke.
In einer Kneipe am See gönnte ich mir eine Bockwurst mit Bier und schaute dem Sonnenuntergang zu. Der Wirt erklärte mir, dass der See früher eine bis zu 40 Meter tiefe Braunkohlegrube war. Jetzt sei ein Teil des Ufers zum Baden, ein anderer für FKK freigegeben und der grösste Teil gesperrt, weil der Rand steil abfällt und Einsturzgefahr besteht.
In der Nacht wurde ich durch lautes Gegröle geweckt. Scheinbar hatte eine Neonazi-Gruppe ein Treffen am Baggersee, denn man hörte immer wieder "Führer komm!" bis die Stimmen heiser wurden. Dann kamen die Stimmen näher und Schritte waren auf dem Zeltplatz zu hören. Ein Camper aus Dänemark hatte den Platz
erst nach 10 Uhr abends erreicht und schlief in seinem Wagen, auf dem jetzt leere Bierflaschen zerschlagen wurden. Ich hatte mächtig Angst in meinem Zelt, zog die Kleider an und öffnete den Reissverschluss des Hinterausganges, damit ich notfalls abhauen konnte. Nun randalierten die Typen auf den Toiletten und schrien rassistische Sprüche. Gleich wird die Polizei wegen Sachbeschädigung und Nachtruhestörung kommen, dachte ich mir. Doch nichts geschah, ausser dass die Kerle mit der Zeit abzogen.
Auf der ganzen Reise hatte ich nie mehr so Angst um Leib und Leben wie hier im sicheren Deutschland.

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3.7.99: Leipzig-Hamburg

Nach der unruhigen Nacht fuhr ich nach Leipzig hinein, um das Völkerschlachtdenkmal anzuschauen. 1806 waren französische Truppen in Leipzig einmarschiert und 1813 fand die Schlacht bei Leipzig statt, bei der die Verbündeten den Sieg über Napoleon errangen. Bei strahlenden Wetter erklomm ich das 90 Meter hohe Denkmal und genoss zuoberst die Aussicht auf Leipzig und Umgebung.
Der Weg in Richtung Hamburg kam mir unendlich vor. Es hatte keine Autobahn, die Strassen waren schlecht und überall hatte es kleinere Staus. Gegen Abend hatte ich genug und steuerte kurz nach Uelzen einen Zeltplatz mitten in einem Wald in der Lüneburger Heide an. Da keine Kneipe auf dem Platz war, kaufte ich das
Abendessen in einer nahen Tankstelle ein. Ich freute mich schon auf eine ruhige Nacht. Doch meine Zeltnachbarn, vier Russen, becherten lautstark, aber zum Glück herrschte eine friedliche Stimmung.

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4.7.99: Hamburg

Dank den Autobahnen um Hamburg war ich in einer Stunde auf dem Campingplatz, der mich aber mehr an einen Hinterhof erinnerte. Der Platz war mit einer Mauer umgeben, nur 12 mal 30 Meter gross und fast gefüllt mit Wohnmobilen.
Im hintersten Teil fand ich einen Platz fürs Zelt. Kurz danach kam ein Wohnwagentross aus Holland und der Schlagbaum wurde gesenkt: Belegt-Geschlossen.
Um die Stadt von oben betrachten zu können, fuhr ich per Lift auf den Fernsehturm. Die Aussicht auf den darunterliegenden Park, die Alster und den Hafen von St.Pauli war prächtig. Nach einer Schlendertour durch den Park wagte ich mich zur Reeperbahn, wo ich meine Vorurteile fallenlassen musste. Nichts war zu sehen
von Zuhältern, Saufbrüdern, Prostituierten und Türstehern, welche die Männer zum Abzocken in schummrige Lokale zerrten. An diesem frühen Sonntagabend flanierten ganz normale Leute durch die Strasse, als ich mit einem Wurstverkäufer ins Gespräch kam. Er zeigte mir die Ritze, ein ehemaliger Boxertreff, in dem heute nichts mehr los sei. Dann legte er mir ein Foto von seiner Freundin vor, eine Thailänderin, der er einen anständigen Job als Verkäuferin verschafft hatte. Die Kundschaft und das Klima habe sich in der letzten Zeit verbessert, seit es nicht mehr nur Sexlokale gebe. Uebrigens dürften die Mädchen sich erst nach 20 Uhr auf der Strasse präsentieren.
Ich hatte Lust auf ein währschaftes Fischgericht, doch am Hafen gab es nur Schnellimbisse für Touristen. Zwei junge Frauen, die auf einer Treppe sassen und eine Flasche Wein tranken, erklärten mir den Weg zu einem guten portugisischen Fischlokal. Da es ein warmer Sommerabend war, wollte ich im Freien essen, doch alle Tische waren besetzt. Eine Frau, welche alleine an einem Vierertisch sass, sagte mir, dass noch zwei Plätze frei seien. Kurz danach kam ihr Freund und schnauzte mich an, es käme noch ein Paar, doch seine Freundin winkte ab.Mit der Zeit unterhielten wir uns ganz gut, doch der Typ, ein prahlerischer Möchtegern-Snob, war nicht meine Linie.

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5.7.99: Hamburg-Bojden

Nach einer sehr ruhigen Nacht weckte mich morgens um 5 ein Donnergrollen und Blitze erhellten den Himmel. Um Acht war das Gewitter vorüber und die Sonne zeigte sich.
Auf der Autobahn in Richtung Kiel hatten sich die Autos wegen einer Baustelle auf mehrere Kilometer gestaut. Das sind dann die Momente, die man als Motorradfahrer geniesst, wenn man an der Kolonne vorbeifährt.
Kurz nach vier Uhr kam ich im Hafen von meinem Etappenort Fynshav an und sah, dass die Fähre
um Vier abgefahren war und die nächste erst um Sechs ablegte. Der Himmel verdunkelte sich und es kam Nebel auf, doch zum Glück regnete es nicht. Ich beschloss, diesen Tag noch bis nach Bojden zu fahren.
Auf dem Campingplatz in Bojden war ich angenehm überrascht von der Grösse und Sauberkeit der sanitären Anlagen. Solchen Luxus wie hier sollte ich erst wieder beim Auwirt in Salzburg finden. Wie im Norden üblich, war auf dem Zeltplatz am Abend nichts mehr los. So suchte ich mir eine Kneipe im Dorf und setzte mich im Freien zu einem Ehepaar hin. Er war Strassenbau-Ingenieur und sie leitete eine Stadtküche. Sie kamen aus Schweden, aber sprachen erstaunlich gut deutsch.

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6.7.99: Bojden-Helsingör

Am Morgen war ich froh, dass ich gleich losfahren konnte und nicht zuerst die Fähre benutzen musste. Kurz nach Nyborg sah ich die riesige Brücke, welche Fünen mit Seeland verbindet und erst seit 1997 benützbar ist. Dank einer massiven Steigung befindet man sich in der Mitte der Brücke in einer Höhe, so dass auch die grössten Schiffe problemlos untendurch fahren können. Durch den Wind dort oben wurde ich gezwungen, in einer extremen Schräglage weiterzufahren. Kurz nach der Brücke kam die Zahlstation, wo mir über 20 Franken von der Mastercard abgebucht wurden.
Gemäss ADAC-Führer war der Campingplatz in Helsingör lärmig zwischen Zug und Küstenstrasse
angesiedelt, doch er lag sehr ruhig und schön direkt am Meer. In der Nähe sah ich ein Industriegleis, das aber kaum befahrenen war.
Da das Zentrum nur einen Kilometer entfernt war, ging ich zu Fuss in die Altstadt. In der
Fussgängerzone viel mir auf, dass viele Schwule und Penner unterwegs waren. Die Schwulen pfiffen mir nach und die Penner bettelten um Geld. Genervt ging ich in ein Pub, doch es war praktisch leer.

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7.7.99: Helsingör-Jönköpping

Beim Warten auf die Fähre nach Helsingborg fielen mir die vielen Leute auf, welche mit Bierharassen unterwegs waren, denn gemäss Zollvorschriften durfte man 15 Liter Bier pro Person mitnehmen. Sicherheitshalber wollte ich auch noch ein paar Dosen Bier in Dänemark kaufen, aber leider sind Aludosen verboten und die Glasflaschen waren mir zu schwer.
Nach einem Stück Autobahn in Richtung Göteborg gings dann über Landstrassen durch die typischen skandinavischen Wälder zum Vätternsee.
An der Zeltplatz-Reception würde ich freundlich begrüsst und eine ältere Frau meinte, was ich für ein schönes Motorrad hätte. 
Der Campingplatz war wunderschön auf einer Art Terrasse, mit Blick auf Jönköpping und den Vätternsee, gelegen. In der Nähe war das Zelt eines deutschen Motorradfahrers, doch weil er meinen Roller grinsend betrachtet hatte, liess ich eine Konversation bleiben. 
Später kamen noch zwei Autos mit holländischen Kennzeichen und vier junge Frauen stiegen aus. Nach dem Zeltaufbau begannen sie sich zu küssen und zu liebkosen.
Als die Sonne unterging, beobachtete ich fasziniert das Naturspektakel. Die Wolken färbten sich glutrot und der Vätternsee schillerte in allen Farben.

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8.7.99: Jönköpping-Stockholm

Am Morgen regnete es in Strömen, sodass ich zum erstenmal auf der Tour das Regenkombi anziehen musste. Doch kurz nach Jönköpping hörte es auf und die Sonne zeigte sich wieder, es blieb aber relativ kühl. Ich fuhr auf einen Hügel am Vätternsee, doch leider war der Wald überall so dicht, dass ich keine Aussicht auf den See fand. Dann gings alles auf der Autobahn nach Stockholm. Etwa 50 Kilometer vor Stockholm sah ich der Benzinuhr an, dass bei der nächsten Gelegenheit tanken fällig war. Doch auf den folgenden 40 Kilometern war keine Tankstelle zu sehen und ich wurde zusehends nervöser. Als dann endlich ein Schild auftauchte mit der Aufschrift, dass nach einem Kilometer eine Zapfsäule sei, schnaufte ich auf: Geschafft. Kaum hatte ich das gedacht, stotterte der Motor und stellte ab. Zum Glück hatte ich zwei Liter Reservebenzin dabei, welches ich hier das einzige Mal auf der Reise brauchte.
Dieses Jahr steuerte ich nicht den Zeltplatz in Huddinge an, sondern einen, der viel näher am Zentrum lag und schlug dort mein Zelt auf einem kleinen Hügel auf. In der heissen Sonne sitzend dachte ich mit Grausen
an das miese Wetter hier im letzten Jahr. Es hatte mir jede Motivation genommen, Stockholm zu besichtigen, doch das wollte ich dieses Jahr nachholen.
Ich hörte Schweizerdeutsch sprechen und sah ein Auto und zwei Harleys mit Aargauer Nummern. Es war ein Vater, der seine beiden Söhne mit Auto und Gepäck begleitete. Als er sah, dass ich auch aus der Schweiz kam, setzte er sich zu mir. Seine Söhne seien nicht alles gefahren, sondern von Zürich bis Hamburg mit dem Autozug und von Kiel bis Oslo mit der Fähre. Ich dachte mir: Ausser Show nichts gewesen.
Ausserdem war auch der deutsche Motorradfahrer von Jönköpping wieder da. Ich fragte ihn nach seinem Reiseziel und er gab das Nordkapp an. Da ich nach Finnland und dem Baltikum weiterreisen wollte, meinte er, dass er den Aktionsradius eines Rollers unterschätzt hatte.
Am Abend fuhr ich in die Altstadt von Stockholm, welche in der Abendsonne strahlte. Leider waren alle Speiselokale überfüllt, sodass ich mir etwas ausserhalb eine Pizza einverleibte und dann wieder zum Zelt fuhr.

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9.7.99: Stockholm

Ich liebe es, von einem höhergelegenen Punkt aus eine Uebersicht über eine Stadt zu gewinnen. Im Reiseführer war in einem Freizeitpark ein Turm beschrieben, von dem man eine gute Aussicht habe. Am Eingang fragte ich eine Aufsichtsperson danach. Der Mann lachte und meinte, der Turm sei eine Art Achterbahn und ich hätte kaum die Zeit um zu fotografieren. Er beschrieb mir dann sehr gut den Weg zum Fernsehturm, von wo aus ganz Stockholm zu bewundern war.
Stockholm war letztes Jahr die Kulturstadt Europas. Ich hatte die Qual der Wahl, aus den vielen Museen eins zur Besichtigung auszuwählen. Ich entschied mich für die Vasa, ein Schiff das im Jahre 1600 im Hafen gesunken war und erst kürzlich gehoben und restauriert wurde.
Danach schaute ich mich in der Stadt um, erkannte Orte, an denen ich letztes Jahr schon gewesen war und entdeckte einen Platz, um den sich ein Restaurant an das andere reihte. Hierhin kehrte ich am Abend zurück, denn ich hatte wiedereinmal Appetit auf ein rechtes Stück Fleisch. Treffenderweise hiess das Steakhouse Fridays, welches ich an diesem Freitag besuchte. Am Eingang standen zwei Gorillas und musterten jeden Gast. Einer drückte mir einen numerierten Ballon in die Hand und hiess mich an der Bar warten. Entweder
war die Küche überlastet oder der Umsatz an der Bar sollte angekurbelt werden, denn viele Tische waren leer. 

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10.7.99: Stockholm-Mariehamn

Die 80 Kilometer nach Grisslehamn waren schnell geschafft. Da ich fast zwei Stunden auf die Fähre nach Eckerö warten musste, vertrieb ich mir die Zeit mit Essen und an der Sonne liegen. Vor der Fähre standen vier Motorräder, eine Goldwing hatte sogar einen Anhänger dran. Der beleibte Besitzer mit Cowboyhut war gesprächig und so fachsimpelten wir, über Goldwings und Roller im Speziellen und Motorradreisen im Allgemeinen. Wie praktisch der Anhänger war, sah ich auf der Fähre, als der schwedische Cowboy ihn mit Duty-Free-Artikeln belud. Ich hatte etliche Mühe, meine zollfrei gekauften Büchsen Bier zu verstauen.
Auf Aland wird zwar schwedisch gesprochen, es gehört aber zu Finnland. Vom Preisniveau her ist in Skandinavien Finnland am günstigsten, Schweden ist etwa auf dem Schweizer Level und Norwegen ist am teuersten.
Die Fahrt durch die Schären war sehr abwechslungsreich, erzwangen doch die tausenden von kleinen Inseln eine ständige Kurskorrektur von der Fähre. Bei einer Temperatur von 30 Grad genoss ich die Sonne und die Meeresluft auf Oberdeck.
Bei der Suche nach einem geeigneten Platz für mein Zelt in Mariehamn hatte ich, zum Glück, meinen einzigen Sturz während der Reise. Auf einer sandigen Strasse im Campingplatz übersah ich einen Stein, an dem ich dann prompt mit dem Ständer hängenblieb und seitwärts umkippte. Ausser ein paar Kratzern an der Karosserie und einem verbogenen Rückspiegel war aber nichts passiert.
An den sanitären Anlagen an merkte man, dass man nicht mehr in Schweden ist. Es hatte stinkende Plumpsklos und aus der Dusche kam nur kaltes Wasser.
Da es Samstag war, waren viele Schweden hier, die hier ihr Wochenende verbrachten. Neben meinem Zelt war eine Gruppe schwedischer Jugendlicher, welche Unmengen Bier tranken und dann mit den Büchsen die Bäume schmückten. Irgendwie beneideten sie mich um meinen neuen Roller, denn ich hörte immer wieder das Wort 'Scooter'. Als sie dann Bierdosen und Steine herumwarfen und einer mein Zelt traf, beschwerte ich mich
bei der Platzleitung, danach hatte ich Ruhe vor ihnen.
Am Abend wanderte ich die zwei Kilometer vom Zeltplatz nach Mariehamn zu Fuss, denn in Finnland gilt die 0.2 Promille-Grenze. Unterwegs quatschten mich ein paarmal junge Leute in Schwedisch an, doch nach dem Aerger auf dem Campingplatz ging ich schnell weiter. Nach einer Weile entdeckte ich, wonach sie suchten. In Mariehamn fand ein grosses Konzert, das Alandia-Jazz-Festival, statt. Den weiteren Suchenden konnte ich dann den Weg weisen.
In der Gartenbeiz einer Pizzeria winkten mich zwei angeheiterte Typen an ihren Tisch. Der eine hiess Ola und war ein grosser, beleibter Kerl, der ein bisschen Deutsch sprach. Sein Kollege sprach gut Englisch und sagte mir,
dass er seit kurzem geschieden sei. Mir passte nicht, wie arrogant sich Ola aufführte und wie er seinen Kollegen als blöd darstellte. Sie schleppten mich in eine Disco, wo ich eine gereizte Stimmung feststellte. Die Frauen schauten finster drein und an der Bar musste man froh sein, wenn man etwas zu trinken bekam.

11.7.99: Aland

Am Morgen hatte ich einen schweren Kopf. Ich wollte den Platz meines Zeltes verschieben und begann den Schlafsack einzurollen. Als ich hörte, dass die Jugendlichen neben mir ihre Zelte abbrachen, liess ich es bleiben. Zur Erkundung der Insel fuhr ich dann gegen Norden. Bei einem 50 Meter hohen, hölzernen Aussichtsturm machte ich halt und genoss die Gegend von oben.
Danach hatte ich keine Lust mehr einfach herumzufahren und freute mich auf den Strand beim Campingplatz. Unterwegs begegnete mir noch der Goldwing-Cowboy, welcher mir zuwinkte.
Am Strand kam ich mit einer Frau ins Gespräch. Sie hiess Gitta, kam aus Amsterdam und war in Stockholm in den Ferien, um Schwedisch zu lernen. Sie verbrachte hier das Wochenende auf Aland um zu lesen. Es gefiel mir, mich mit ihr auf deutsch unterhalten zu können. Sie erzählte mir, dass sie als Kindergärtnerin interessiert an Märchen sei. Schweden habe in dieser Literatur eine führende Stellung und die Figur des Trolls sei weltberühmt. Sie wollte nach dem Sprachstudium selber Bücher vom Schwedischen ins Deutsche übersetzen. Die Zeit ging wie
im Flug vorbei und ich verabschiedete mich von ihr, denn sie musste auf die Fähre nach Stockholm.

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12.7.99: Mariehamn-Turku

Da die Fähre erst um zwei Uhr nachmittags ablegte, konnte ich am Morgen noch auf die Bank, um Schecks einzulösen. Die 500 Franken reichten mir dann bis nach Polen, denn das Baltikum ist für unsere Begriffe extrem günstig.
Vor der Bank betrachtete ein deutsches Ehepaar meine Suzuki. Der Mann hatte richtig Freude daran, dass es immer noch so Idealisten gibt, die so weit mit dem Roller fahren. Er sei vor 35 Jahren mit einem Heinkel Tourist über unwegsame Schotterpisten bis zum Nordkapp gefahren. Aus Geldmangel habe er sich von Forellen aus norwegischen Flüssen und Seen ernährt. Jetzt waren sie mit einer Jacht unterwegs, doch zum Baltikum würden sie nie aus Angst vor Kriminellen schippern.

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Dann war es Zeit geworden, sich von Aland zu verabschieden. Die Viking-Fähre war zehn Stockwerke hoch und mit allem, vom Schwimmbad bis zur Disco, ausgestattet. Die schöne Fahrt an den zahllosen Inseln vorbei dauerte fast sechs Stunden bis nach Turku. 
Das Campinggelände in Turku war riesig, weshalb ich ausnahmsweise aus Bequemlichkeit den Roller zum Toilettenbesuch benützte.

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13.7.99: Turku-Tampere

Früh am Morgen weckte mich die Sonne, welche das Zelt schnell auf unerträgliche Temperaturen aufheizte. Es war schon ungewöhnlich für mich, dass es von morgens um drei bis abends um elf hell ist. Zum Schlafen legte ich mir immer ein Tuch über die Augen, damit es einigermassen dunkel war. Von den berüchtigten Stechmücken merkte ich kaum etwas, höchstens am Abend nervten mich ein paar davon. Zum Glück hatte ich Antibrumm-Forte dabei und somit einigermassen Ruhe vor ihnen.
Das Wetter in Finnland bestand dieses Jahr nur aus Sonne und Temperaturen bis 30 Grad. Weil ich in den Handschuhen zu sehr schwitzte, fuhr ich ohne herum. Am Abend bemerkte ich, dass ich einen Sonnenbrand an den Handrücken erlitten hatte. Letztes Jahr musste ich vor dem Regen flüchten, dieses Jahr vor der Sonne. Auf den Zeltplätzen hielt ich immer zuerst Ausschau nach einem schattigen Platz.
In der Nähe meines Zeltes war ein älteres deutsches Ehepaar mit einem betagten Ford Transit, der aber sehr gepflegt aussah. Sie erzählten, dass sie damit schon am Nordkapp waren. Sie seien schon ohne Licht gefahren,
hätten den Motor abgestellt und gelauscht, aber Elche hätten sie leider noch nie in der freien Natur gesehen.
Auf den Zeltplätzen in Skandinavien ist der Kontakt unter Campern praktisch Null. Man wird zwar angestarrt, aber nicht gegrüsst. Ausser Deutsche und Holländer reagieren die Leute auf ein Ansprechen eher verärgert.
Jetzt musste ich mich entscheiden, ob ich noch bis zum Polarkreis in Rovaniemi nach Norden fahren wollte. Das schöne Wetter sprach dafür, die Einsamkeit auf den finnischen Strassen und Campingplätzen dagegen. Zudem ist Finnland völlig flach und die Strassen gehen immer geradeaus durch die unendlichen Wälder. Ich entschied mich für eine Rückkehr nach Süden, damit ich mehr Zeit hatte, das Baltikum, Polen und Tschechien anzuschauen. 
Nach der Tour war ich froh um diese Wahl, ist doch der Osten historisch und architektonisch interessanter als Lappland. Der einzige Nachteil war: Ich konnte mit keiner Fahrt zum Polarkreis prahlen.

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14.7.99: Tampere-Helsinki

In Richtung Süden spürte ich einen extremen Gegenwind, was auf eine Wetterveränderung schliessen liess. Bis kurz vor Helsinki fuhr ich alles auf Landstrassen. Die Stadt wird von drei Autobahnringen umgeben, aber da ich keine Ahnung hatte, welchem ich folgen sollte, fuhr ich geradewegs ins Zentrum. Dort war es drückend heiss und vor allem die Taxis waren rücksichtslos unterwegs. In der Innenstadt bestanden alle Strassen aus Kopfsteinpflaster, was für mein Hinterteil gar nicht wohltuend war. Zudem klapperte etwas im Roller-Vorderteil. Es war die Windschutzscheibe, deren Schrauben sich gelöst hatten und welche ich bis nach Hause noch dreimal nachziehen musste.
Der Campingplatz war vom Fährhafen aus gut ausgeschildert, doch leider über 10 Kilometer vom Zentrum entfernt.
Neben meinem Zelt war dasjenige einer Frau aus Amsterdam. Sie lebte schon seit drei Monaten hier und ging einer Beschäftigung als Wahrsagerin und Handauflegerin nach, um sich Kost und Logis zu verdienen. Da ich überhaupt nichts von solchen Ritualen halte, war eine Unterhaltung bald beendet. Etwas belustigt sah ich, dass sie nach chinesischem Brauch einen Kreis aus Steinen und Aesten um ihr Zelt gelegt hatte, um böse Geister fernzuhalten.

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15.7.99: Helsinki

An diesem Tag wollte ich Helsinki und vor allem die alte Festungsinsel Suomenlinen anschauen. Die Insel war mit einer kleinen Personenfähre in einer Viertelstunde zu erreichen. Beim Rundgang um die Insel begann es zu regnen, doch es war trotzdem schön, die alten Gemäuer und Kanonen zu bestaunen.
Im Hafen von Helsinki kaufte ich mir bei Eckerö-Line ein Ticket für die Ueberfahrt am nächsten Tag nach Tallinn.
Zurück auf dem Zeltplatz erinnerte ich mich an die zehn Ansichtskarten, welche ich in Aland mitsamt Briefmarken gekauft hatte. Sofort schrieb ich an alle Verwandten und Bekannten, denn morgen früh um Acht Uhr wollte ich Finnland verlassen. Da ich an diesem Tag noch nichts nahrhaftes gegessen hatte, fuhr ich nochmal nach Helsinki und warf bei dieser Gelegegenheit die Karten ein.

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16.7.99: Helsinki-Tallin

Ich stand kurz vor sechs Uhr auf, denn ich musste noch alles packen und zum Hafen fahren. Unnötigerweise regnete es noch leicht. Dankdem in der Innenstadt wenig Verkehr war und ich mir den Weg am Vortag gemerkt hatte, kam ich frühzeitig bei der Fähre an.
Beim Anbinden des Rollers sah ich ein junges finnisches Paar, das auf einer alten 200-er Vespa unterwegs war. Sie wollten das Wochenende in einem Hotel in Pärnu verbringen und dann wieder zurückfahren.
Kaum hatte das Schiff abgelegt, waren die Bars auch schon umlagert. Mir stand der Sinn mehr nach Tee und Kaffee als nach Bier und Wodka. Nach dem Frühstück ging ich aufs Oberdeck und bemerkte, dass die Fähre ziemlich rostig war. In der Mitte der vierstündigen Ueberfahrt fuhr das Schiff in eine dunkle Wand aus Nebel und Regen. Die Fahrt wurde unruhig und ich auch, denn mir kam die Estonia in den Sinn. Zum Glück kam kurz vor Tallinn
die Sonne zum Vorschein.
Im Hafen mussten wir eine Stunde auf die Zollabfertigung warten, denn die Beamten waren gerade in der Mittagspause.
Etwas ausserhalb von Tallinn sah ich den Fernsehturm, in dessen Nähe der Campingplatz war. Doch alle Strassen führten vom Turm weg oder endeten in Sackgassen. In einer Quartierstrasse sprang mich plötzlich ein Rottweiler an, der aber gottseidank einen Maulkorb trug. Schlussendlich fand ich den Weg zum Turm und schlug mein Zelt auf. Ausser mir war nur noch das Zelt eines holländischen Ehepaars und zwei deutsche Wohnmobile dort. Die Holländer waren mit den Fahrrädern in St.Petersburg gestartet und wollten noch bis Vilnius radeln.
Im Gelände befand sich auch ein Restaurant, das am Abend gut besucht von Einheimischen war. Ich staunte, was für neue und teure Autos auf dem Parkplatz standen.

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17.7.99: Tallin-Pärnu

Am Morgen liess ich aus Angst vor Diebstahl alles Gepäck auf dem Zeltplatz zurück und fuhr zur Stadtbesichtigung nach Tallinn. Dies hatte zur Folge, dass ich nochmals zurück musste, um das Zelt zu holen. Dies wäre nicht nötig gewesen, denn ich fand in Tallinn einen bewachten Parkplatz.
Von den Haupstädten Tallinn, Riga und Vilnius hat mir Tallinn am besten gefallen. Die mittelalterlichen Stadtmauern und die Altstadt sind noch fast vollständig erhalten.
Im Osten ist mir aufgefallen, dass das Personal in Läden und Restaurants gegenüber Kunden sehr unfreundlich wirken. Auskünfte werden keine gegeben, das Rückgeld wird trotz hingestreckter Hand auf den Tresen
geknallt und "Auf Wiedersehen" wird nie gesagt.
Aber es gibt auch freundliche Menschen. Einmal ging mir das Benzin kurz vor der lettischen Grenze aus.
Ein Knabe kam sofort angeradelt und fragte, ob er etwas helfen könne. Einmal verlor ich Geld in einer Tankstelle bei Riga. Sofort kam mir jemand nach und gab es mir zurück.
In Pärnu fand ein Musikfestival statt, an dessen Rande viele Zelte standen. Ich zog es vor, einen ruhigen Zeltplatz in 10 Kilometer Entfernung aufzusuchen, was sich aber im nachhinein als Irrtum erwies. Nach dem Aufstellen des Zeltes fuhr ich nochmals nach Pärnu, um etwas zu essen. In einer Gartenbeiz mit Grill
genoss ich einen feinen Spiess mit Salaten. An meinem Tisch sass noch ein junges Paar aus Tallinn, welches etwas Englisch sprach. Sie luden mich in die Disco ein, in die sie gehen wollten. Ich sagte ihnen, dass ich müde sei und ging noch kurz ans Meer, um die Abendstimmung zu geniessen.
Zurück auf dem Zeltplatz stellte ich fest, dass eine Liveband in voller Lautstärke spielte. Die Musik war gut und die Stimmmung fröhlich, sodass ich bis um zwei Uhr morgens zuschaute. Die Leute fassten sich an den Händen, bildeten einen grossen Ring und tanzten estnische Volkstänze.
Danach wollte ich zur Nachtruhe schreiten, doch daraus wurde nichts. Einer holte seinen Audi 100, öffnete alle Türen und liess bis fünf Uhr morgens Techno dröhnen. Dies erlebte ich auch auf anderen Campingplätzen
im Osten, dass am Freitag und Samstag kaum an Schlaf zu denken ist; dann werden Privat- und Firmenfeste auf den Campingplätzen abgehalten, Nachtruhezeiten sind unbekannt.
Ich fand es aber positiv, dass die restlichen Campeure stets tolerant waren und dass trotz reichlich Wodka nie eine agressive Stimmung aufkam.

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18.7.99: Pärnu-Jurmala bei Riga

Richtung lettische Grenze hatte es immer weniger Verkehr. Der Grenzübertritt und der Geldwechsel von estnischen Kronen in Lats verliefen reibungslos, ausser dass sie Schweizer Franken nicht kannten und demzufolge auch nicht wechselten. Richtung Riga nahm der Verkehr immer mehr zu, weil sich scheinbar halb Lettland an diesem Sonntag an den Sandstränden zwischen Riga und der Grenze versammelte.
Von Riga aus waren es noch zirka 40 Kilometer bis zum Badeort Jurmala. Kurz davor war eine Zollstation vom Kurverein, denn per kostenpflichtiger Strassenbenützung wollte man den Durchgangsverkehr fernhalten.
Eine hilfsbereite junge Frau fragt mich nach meinem Ziel. Sie hatte wie ich in England einen Sprachaufenthalt gemacht und sprach sehr gut Englisch. Sie empfahl mir den Campingplatz beim Aquapark Nemo und telfonierte dorthin, ob noch Platz vorhanden sei. Dann gab sie mir noch Prospekte und einen kostenlosen Passierschein mit.
Der Zeltplatz war spartanisch eingerichtet, eine Dusche fehlte und das Wasser in den Waschbecken lief auch nur zeitweise. Doch für zwei Franken Uebernachtungsgebühr kann man keinen Luxus erwarten. Dafür hatte es
Wasserrutschbahnen, Restaurants und das Meer in unmittelbarer Nähe.
Riga war mir am Abend für einen Besuch zu weit entfernt, darum wollte ich Jurmala erkunden. Weil in Estland und Lettland die Alkoholgrenze bei 0.0 Promille lag, ging ich zu Fuss. Als ich nach über zwei Kilometern Marsch kein Restaurant fand, kaufte ich mir in einem Laden etwas fürs Nachtessen ein. Im bedienten Laden merkte ich, wie mühsam es ist, wenn man keine gemeinsame Sprache spricht. Mit Händen und Füssen versuchte ich zu beschreiben, was ich bekommen wollte. Unter anderem deckte ich mich mit Debreziner-Würsten ein. Sie entsprechen
im Osten dem, was für uns Wiener oder Frankfurter sind. Senf suchte ich im ganzen Baltikum vergebens. Ich staunte nicht schlecht, wie wenig ich für die ganze Tasche Esswaren zahlen musste.
Auf dem Zeltplatz angekommen, sah ich zwei neu angekommene Motorräder dastehen. Dies wäre in der Schweiz nicht der Rede wert, doch im Baltikum ist jedes Motorrad eine Seltenheit. Auch um meinen Roller scharten sich oft Leute, um ihn von allen Seiten zu betrachten. Im ganzen Baltikum begegnete ich keinen 10 Motorrädern.
Das eine Motorrad gehörte einem finnischen Paar, welches nicht sehr kommunikativ war, das andere einem jungen Deutschen, der sich als Markus vorstellte. Ich war erstaunt zu hören, dass er genau die gleiche Route fahren wollte wie ich, einfach in der umgekehrten Richtung. Doch die schlechten polnischen Strassen hatten ihm zugesetzt und er litt unter Rückenschmerzen. Da eine Weiterfahrt mit Schmerzen unvernünftig war, beschloss er umzukehren und mich dabei bis Palanga bei Klaipeda zu begleiten. Seine wilde Bekleidung und seine Geländemaschine mit Fellüberzug täuschten über seine wahre Art. Wir verstanden uns auf Anhieb gut.

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19.7.99: Jurmala

Am Morgen bemerkte ich, dass Markus gar kein Zelt dabei hatte, sondern einen Regenponcho als Zeltblache benütze. Solange es wenig regnet und es keine Mücken hat, funktionierte das schon. Ich machte mich auf den Weg, um einzukaufen und das alte Strandhotel zu besichtigen, das ich in meinem Reiseführer gesehen hatte. In einer Gartenbeiz genoss ich gerade einen Kaffee, als sich ein alter, zahnloser Mann neben mich setzte und mich auf Russisch ansprach. Er füllte ein Mineralglas mit Wodka und wollte mit mir, dem "Germanski", "Briiderschaft" trinken. Als ich dankend ablehnte und auf meinen Roller deutete, wurde er sauer, trank das Glas selber aus und zog wieder ab.
Da ich das Strandhotel nicht fand, fuhr ich zurück zum Zeltplatz. Markus war am Strand, doch zum Baden hatte er keine Lust. Beim Hineinwaten ins Meer merkte ich den Grund dafür: Das Wasser war voller brauner Algen und stank. Es ist schade, dass das Meer bei jeder grösseren Ortschaft verschmutzt ist, weil früher Kläranlangen unbekannt waren und jetzt erst nach und nach gebaut werden, falls überhaupt. Als wir genug hatten vom Strand gingen wir in den Aquapark.
Am Abend wollten wir uns im Zentrum von Jurmala umsehen. Um ohne schlechtes Gewissen ein Bier trinken zu können, nahmen wir einen Kleinbus, der mehrmals täglich von Jurmala nach Riga fährt. Das Zentrum bestand nur aus einer 300 Meter langen Fussgängerzone mit einem Dutzend Restaurants. Nach einem guten und günstigen Nachtessen vertraten wir unsere Beine am Strand. Beim Betrachten des Sonnenunterganges bemerkte ich das Strandhotel, welches ich am Morgen vergeblich gesucht hatte.
Nach elf Uhr abends war die Fussgängerzone menschenleer, nur eine Gruppe junger Russen begegnete uns.
Einer von ihnen hörte uns deutsch sprechen und wollte auf uns los, wurde aber zum Glück von seinen Kollegen zurückgehalten. Wir zogen es vor, mit dem Taxi zum Camping zu fahren. Verglichen mit den sonstigen Preisen war die Taxifahrt teuer, vermutlich bezahlten wir einen speziellen Touristentarif.

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20.7.99: Riga-Palanga

Am Morgen fuhren wir zuerst nach Riga, um die Hauptstadt Lettlands näher kennezulernen. Es herrschte ein völliges Verkehrschaos, alle Parkplätze waren besetzt und es war drückend heiss. So liessen wir es beim Anblick der Freiheitsstatue bewenden und flüchteten aus der Stadt.
Schon nach einigen Kilometern waren wir praktisch alleine unterwegs. Wir hatten uns auf eine Reisegeschwindigkeit von 95 Stundenkilometern geeinigt, damit ich mit dem Roller mithalten konnte.
Am Zoll nach Litauen erhielten wir je einen Laufzettel, auf den die Zöllner an sechs verschiedenen Posten ihre Stempel drückten. Ein Posten war für den Pass zuständig, einer für den Fahrzeugausweis und einer für den
Führerschein, und das auf beiden Seiten der Grenze. Am Schluss der Prozedur mussten wir das Papier abgeben. Wir merkten, dass die Leute stolz auf ihre erst seit 1993 wiedererlangte Staatssouveränität waren.
Kurz vor Siauliai bogen wir links ab, um den Berg der Kreuze zu besichtigen. Der Grabhügel war nicht gross, aber über und über mit tausenden von Kreuzen in allen Grössen geschmückt.
In Richtung Palanga war es schön, vorbei an Storchennestern, dem Meer und der sinkenden Sonne entgegenzufahren. Vor Palanga quartierten wir uns im erstbesten Campingplatz ein. Erst später sahen wir,
dass es besser ausgestattete und näher am Zentrum liegende Zeltplätze gegeben hätte. Dafür war der Platz schattig, ruhig und billig.
Nach dem Zeltbau fuhren wir ins Zentrum, um einzukaufen. Wir staunten nicht schlecht, wie belebt und
luxuriös dieser Ferienort war. Am Eingang eines Supermarktes stand ein Gorilla, der uns den Eingang verwehrte. Da niemand eine Tasche in den Laden mitnahm, gaben wir unsere Helme ab, denn wir hätten ja darin etwas verstecken können. Auch beim zweiten Versuch scheiterten wir am Türsteher. Jetzt bemerkten wir, dass jeder, der Einlass fand, einen Einkaufskorb trug. Da keine mehr vorhanden waren, musste man der Kasse anstehen um einen freien zu ergattern. Jetzt durften wir endlich einkaufen gehen: Andere Länder, andere Sitten.
Bei einem Bier unterhielten wir uns am Abend lange vor dem Zelt über Gott und die Welt. Als dann ein Gewitter kam, bot ich Markus einen Platz im Zelt an.

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21.7.99: Palanga

Am Vormittag besuchten wir den riesigen Stadtpark mit dem Bernsteinmuseum. Es war interessant, die millionen Jahre alten Harze mit den eingeschlossenen Insekten durch Lupen zu untersuchen.
Danach flanierten wir durch die Fussgängerzone, an der sich ein Restaurant an das andere reihte, zum Strand. Hier herrschte ein solcher Andrang, dass man vor lauter Menschen den Sand kaum sah. Im Meer draussen erblickten wir eine grosse Wolke und Minuten später war der Strand in Nebel eingehüllt.
In einem Strassencafé nahmen wir das Mittagessen ein. Wir waren erstaunt, wie ruhig und diszipliniert alle Leute waren, sogar von den Kindern hörten wir überhaupt nichts. Bei uns lässt man den Kindern alles durchgehen und hier im Osten schien die Erziehung sehr streng zu sein. Als ein Mädchen am Nebentisch von einer Wespe gestochen wurde, begann es zu weinen. Seine Mutter zischte ihm etwas zu, daraufhin verstummte es sofort. Was uns auch erstaunte war der Körperbau von den Leuten hier. Alle waren schlank und gross, dicke
Leute sahen wir keine.
Am Nachmittag begann es zu regnen. Wir gingen zur Touristeninformation, um uns nach einer guten Discothek für den abendlichen Ausgang zu erkundigen. Die Frau dort fragte uns augenzwinkernd, ob wir selber
tanzen wollten oder nur zusehen. Als wir das erstere nannten, gab sie uns die Adressen von zwei Diskotheken.
Nach einem guten Nachtessen und einem Rundgang durch die Fussgängerzone gingen wir in eine der Discos. Mir fiel auf, dass die Leute dort alle aufgestellt waren und Freude an der Musik hatten. Die Tanzenden schienen die Atmosphäre zu schätzen und wirkten nicht so übersättigt wie die Leute im
Westen. Ich musste sofort an die Disco in Aland denken. Hier in Palanga war es mir bedeutend wohler. Leider war es fast unmöglich sich mit den Menschen, die kaum Englisch sprachen, zu unterhalten.
Nach drei Uhr leerte sich die Disco und wir traten die Rückfahrt zum Zeltplatz vorsichtig auf kleinen
Nebenstrassen an, da wir etwas getrunken hatten.

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22.7.99: Kurische Nerung

An diesem Tag gings nach Klaipeda (Memel), um uns mit der Fähre auf die kurische Nerung übersetzen zu lassen. Diese Landzunge aus Sand reicht von Kaliningrad (Königsberg) bis einen Kilometer vor Klaipeda, ist 80 Kilometer lang und durchschnittlich 1 Kilometer breit.
Früher beging man den Fehler, den Wald abzuholzen, worauf die Dünen zu wandern anfingen und mehrere
Dörfer unter sich begruben. Jetzt ist das meiste wieder aufgeforstet und unter Naturschutz gestellt. Kurz vor Juodkrante stand ein Zollhaus, bei dem man eine Eintrittsgebühr ins Naturschutzgebiet entrichten musste.
Es war eindrücklich, von der höchsten Düne aus den Unterschied zwischen dem von den Klaipedener Abwässer bräunlich gefärbten,ruhigen Haff und der dunkelblauen, stürmischen Ostsee zu betrachten. Später liess es sich Markus nicht nehmen, sich in die meterhohen Wellen zu stürzen. Mir war das zu kalt und so konzentrierte ich mich aufs fotografieren.
Kurz vor dem unserem Zeltplatz sahen wir ein Schild, auf dem "Schaschlik" stand. Mitten im Wald hatte ein russiches Paar ein Partyzelt aufgestellt und bot grosse Fleischspiesse mit Reis und Salat für umgerechnet drei Franken an. Da wir hungrig waren, griffen wir bei diesem Angebot erfreut zu.
Kaum beim Zelt angelangt erschien die Nachbarin mit ihrem kleinen Sohn. Sie war die einzige auf dem Platz, welche sich mit uns Fremden unterhielt. Ihr Kleiner habe den ganzen Tag von unseren Motorräder geschwärmt und ob er sie nicht aus der Nähe betrachten dürfe. Wir liessen ihn sogar auf beiden Maschinen probesitzen, worauf er vor Freude fast weinte.
Ich fuhr noch schnell nach Palanga, um die Fotos zu holen, welche ich am Vortag zur Entwicklung abgegeben hatte. Eine Menge Leute warteten, doch die Fotografin winkte mir beim Eintreten sofort zu und sagte auf Englisch, wie gut ihr meine Fotos gefallen hätten. Sie führte mich zum Schaufenster, wo zwei Fotos von mir als Poster hingen, eine Gewitterstimmung bei Pärnu und ein Mitternachtsbild von Tampere. Zuerst wusste ich nicht, ob ich wegen verletzter Copyright-Rechte wütend werden sollte. Doch dann bedankte ich mich und verliess stolz das Geschäft.
Da Markus am nächsten Tag nach Polen und ich nach Vilnius fahren wollte, war dies unser letzter gemeinsamer Abend. Mit Proviant und ein paar Bier gingen wir zum Strand und entfachten ein Lagerfeuer. Doch kaum hatten wir uns hingesetzt zuckten Blitze vom Himmel und es goss wie aus Kübeln. Fluchtartig rannten wir zum Zelt, doch Markus wurde ohne Regenschutz tropfnass. Nach dem Gewitter setzte er sich an ein Lagerfeuer auf dem Campingplatz und bekam Wodka zum Aufwärmen offeriert.

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23.7.99: Palanga-Trakai bei Vilnius

Nachdem wir unsere Adressen ausgetauscht hatten, fuhr Markus eine Stunde vor mir los. Ich war überrascht von der neuen Autobahn, welche direkt von Klaipeda nach Vilnius führte. Das Wetter war recht kühl und windig. Man wusste nie, wann es zu regnen begann, doch zum Glück waren es nur einzelne Tropfen.
Ich bemerkte die grosse Anzahl von Autostoppern, vor allem in der Nähe von Städten. Die meisten Anhalter wurden auch prompt mitgenommen, was bei uns höchstens früher einmal so war.
Der Campingplatz, der 30 Kilometer vor Vilnius lag, war ein Tip von Markus gewesen. Der Platz lag sehr schön an einem See mit Blick auf das Wahrzeichen Litauens: Schloss Trakai.
Nach dem Einkaufen in Trakai und dem Verzehr eines Grillspiesses wollte ich mich zur Ruhe begeben. Doch es war wieder Freitag und so dauerte die Musik und der Lärm bis frühmorgens.

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24.7.99: Vilnius

Am Morgen besichtigte ich das Schloss. Dabei traf ich ein dänisches Paar auf einem alten BMW-Motorrad und wir tauschten unsere Erfahrungen aus.
Im Gegensatz zum Vortag war das Wetter schön und heiss, sodass ich ein Bad im See nahm. Da ich überhaupt keine Wasserratte bin, begab ich mich auf der ganzen Reise höchstens dreimal ins kühle Nass.
Am späteren Nachmittag löschte ich meinen Durst mit einem Bier und fuhr dann los, um Vilnius zu
besuchen. Da mehrere entgegenkommende Autos die Lichthupe betätigten, vermutete ich sofort die Polizei irgendwo und fuhr langsam. Nach einer Kurve winkte mich ein Polizist heraus und roch das Bier. Im Streifenwagen musste ich blasen und erhielt das Resultat von 0.3 Promillen, was angesichts der Grenze von 0.4 noch erlaubt war. Der fliessend deutsch sprechende Polizist war anständig und verlangte nach den Papieren. Da ich diese auf dem Zeltplatz vergessen hatte, schickte er mich los, sie zu holen. Als ich zurückkam, war der Streifenwagen verschwunden.
Ich fuhr weiter nach Vilnius und nahm mir vor, dort keinen Tropfen Bier mehr zu trinken. Nach der Besichtigung der Altstadt trank ich in einem Pub eine Cola und dachte an Markus. Vor allem am Abend in einer fremden Stadt merkt man es besonders, wenn man alleine unterwegs ist.
Wieder auf dem Zeltplatz entdeckte ich vier getunte Ford Capris direkt neben meinem Zelt. Ich setzte mich zu den Leuten und erhielt von einem deutschsprechenden Typen ein Bier offeriert. Er erzählte mir, dass sie aus Vilnius und Riga kämen und am Wochenende oft gemeinsame Touren unternähmen. Er hatte versucht, in Trakai ein Restaurant zu eröffnen, doch ohne gute Verbindungen zur Mafia sei das unmöglich. Aus diesem Grund habe er schon als Koch in Deutschland und der Schweiz gearbeitet.

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25.7.99: Trakai-Goldap

An diesem Tag war schönes Wetter, doch es ging ein massiver Westwind. Auf Nebenstrassen genoss ich die Seen- und Hügellandschaft Litauens in Richtung polnischer Grenze.
Auf dem Lande fielen die sozialen Unterschiede am stärksten auf. Einerseits sah man die armen Bauern mit ihren Pferdefuhrwerken, andererseits brausten Städter mit ihren westlichen Luxuskarossen vorbei.
An einem Imbissstand trank ich einen Kaffee, doch die alte Frau schien mich weder auf Englisch noch auf Deutsch zu verstehen. Weil es sehr wenig kostete, gab ich ihr noch ein anständiges Trinkgeld, worauf sie sofort mit "Auf Wiedersehen und gute Reise" antwortete...
Bei einer Tankstelle bestaunten zwei Jugendliche meinen Roller. Als ich ihnen erklärte, dass dies eine Suzuki 125 ist, antworteten sie mit "Japanski", konnten aber mit Namen wie Suzuki, Honda oder Yamaha nichts anfangen, denn sie kannten nur Dnjepr, Minsk, etc. Als weitere Auskünfte gab ich ihnen den Verbrauch mit 4 Litern auf 100 Kilometer und eine Spitzengeschwindigkeit von etwa 100 km/h an. Darauf meinte der eine, dass seine Minsk mit 350 ccm und einem Verbrauch von 7 Litern keine 90 Stundenkilometer schaffe. Dafür hatte seine Minsk überhaupt kein Plastik dran und war dementsprechend robust und langlebig.
Vor der polnischen Grenze stauten sich die Lastwagen auf mehrere Kilometer und auch die Personenwagenabfertigung ging sehr schleppend vor sich. Ich sah drei Fahrstreifen, einen für Lastwagen, einen für Autos und einen leeren. Nach einer halben Stunde warten fragte ich einen Zöllner, ob die dritte Spur
vielleicht für Motorräder sei, worauf er mich mürrisch durchwinkte.
In einem Restaurant kurz hinter der Grenze traf ich vier Harley-Fahrer aus Finnland. Sie erzählten, dass sie vier Stunden an der Grenze gewartet hätten und jetzt ohne Halt Polen durchqueren wollten, weil sie Angst vor Diebstahl hätten.
Die Strasse nach Goldap führte durch schöne Landschaften, war aber schmal und in miserablem Zustand. Müde und mit schmerzendem Hintern schlug ich das Zelt auf und freute mich auf einen Schaschlik. Doch im Campingrestaurant gabs nur Fertigpizza aus dem Mikrowellenofen. So beliess ich es mit einem guten polnischen Bier und sprach mit dem jungen Besitzer, der gut Englisch konnte. In Polen sei der Alkoholausschank kein Problem, sobald man aber Essen zubereitete, würden die Auflagen enorm hoch.

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26.7.99: Goldap-Mikolajki

Die Sonne weckte mich um 5 Uhr. Die Stimmung mit der aufgehenden Sonne, welche in die Nebelbänke über dem nahegelegenen See schien war so toll, dass ich aus dem Schlafsack kroch und einige Fotos machte. Normalerweise fuhr ich stets zwischen 10 und 11 Uhr los, doch an diesem Tag war ich schon um 8 Uhr unterwegs.

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Auf der Landstrasse versperrte mir eine Schülerprozession den Weg, welche Heiligenbilder und Kreuze trug. Ueberall in Polen sah man Kreuze und kleine Kapellen, dennoch klauen diese frommen Leute alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Scheinbar ist das kein Widerspruch, entweder ist es in der Natur des Menschen oder in der Armut begründet. Markus hatte erzählt, dass er nach einer kurzen Rast in Polen seinen Fotoapparat vermisste...
Die Fahrt durch die Masuren mit den zahlreichen Seen und den Storchennestern war sehr schön und wurde nur von den Schlaglöchern in den Strassen getrübt.
In der Nähe von Ketrzyn besichtigte ich die Wolfsschanze, das ehemalige Führerhauptquartier von Hitler. Da alles von den Deutschen beim Abzug gesprengt worden war, konnte man sich nur noch von aussen von der massiven Bauweise der Bunker überzeugen.
In Mikolajki fand ich einen Campingplatz, der auf einem Hügel nur einen Kilometer vom Zentrum entfernt lag. So konnte ich bequem zu Fuss hingehen, was angesichts des starken polnischen Biers von über 7 Prozent auch
besser war. Die Masuren sind ein Eldorado für Segler. Am Hafen von Mikolajki waren hunderte von Segelbooten angebunden. In einer Gartenbeiz kam ich mit Jugendlichen aus Warschau ins Gespräch, welche ihre Ferien auf Segelbooten verbrachten. Sie kamen offensichtlich aus reichen Familien, denn sie hatten pro Segelboot auch noch einen erfahrenen Skipper gemietet und mussten im Restaurant nicht aufs Geld schauen. Sie besuchten Privatschulen und sprachen dementsprechend gut Englisch. Wie bei allen Seeleuten floss reichlich Alkohol, die Jungen tranken Bier, die Mädchen Zebrowka, eine Mischung aus Apfelsaft und Wodka.

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27.7.99 Masuren

An diesem Tag schlief ich zuerst aus und besichtigte dann Mikolajki, das im Sommer neben den 5000 Einwohnern bis zu 20000 Touristen beherbergt. 
Ich staunte, wie schnell ich mit dem gemieteten Kanu vorwärtskam, nur das Ein- und Aussteigen war wegen dem Kippen gefährlich.

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28.7.99: Mikolajki-Krakau

Frühmorgens verliess ich die Masuren in Richtung Warschau. Oft winkten mir Kinder freudig zu, als sie meinen vollbepackten Roller erblickten. Kurz nach Mittag erreichte ich Warschau und verpasste im Verkehrsgewühl die Strasse nach Krakau, sodass ich auf dem Flughafen ankam und zurückfahren musste.
Ich ärgerte mich, dass es in Polen praktisch keine Autobahnen und keine Umfahrung der Städte gab. Da mich einige Leute vor dem Besuch von Warschau gewarnt hatten, beschloss ich nach Krakau weiterzufahren. Die Strassen wiesen bis zu 10 Zentimeter tiefe Spurrillen von den Lastwagen auf und die Autofahrer überholten trotz Gegenverkehr in halsbrecherischer Art und Weise. Einmal kamen mir zwei Lastwagen nebeneinander entgegen und ich konnte nur mit Mühe rechts anhalten.
Später überholte mich ein Fiat mit italienischen Kennzeichen und der Fahrer deutete mir an, anzuhalten. Ich dachte nicht daran und fuhr weiter. Wenig später überholte er mich wieder und drängte mich immer mehr an den rechten Strassenrand bis zum Stillstand. Er sei bestohlen worden und ich als Landesnachbar solle ihm 500 Mark vorschiessen. Scheinbar glaubte er mir, dass ich ein Student ohne viel Geld sei, deshalb nur Roller fahren könne und meine Kreditkarte auch gestohlen wurde. Als er das weitere Vorgehen überlegte riss ich mich los und brauste angsterfüllt davon, doch im Rückspiegel sah ich ihn nicht mehr.
Kurze Zeit später türmten sich riesige schwarze Wolken auf und ein heftiges Gewitter entlud sich, worauf die Spurrillen sich mit Wasser füllten und noch gefährlicher wurden. Nach über 600 Kilometern erreichte ich am Abend Krakau, womit dies die längste Etappe meiner ganzen Tour bildete.
Der Campingplatz war gut ausgeschildert, ruhig gelegen und gepflegt. In einem nahen Restaurant gönnte ich mir ein üppiges Mahl bestehend aus Lachs, wildem Reis etc. für nur 12 Franken.

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29.7.99: Krakau

Durch meinem Reiseführer wurde ich aufmerksam auf das Salzbergwerk Wiliecko in der Nähe von Krakau, das frei zur Besichtigung ist. In einer geführten Tour wurden wir in einer Gruppe zwei Stunden lang durch das unterirdische Labyrinth geführt. Zuerst gings über eine Holztreppe über 40 Stockwerke in eine Tiefe von 130 Metern. Danach wechselten sich enge Gänge mit riesigen Kavernen und prächtigen Kapellen ab.
In meiner Gruppe war ein Paar aus Holland, welches auch mit dem Motorrad unterwegs war. Sie beklagten sich, dass Krakau so teuer sei, hätten sie doch für ein Hotelzimmer 200 Franken bezahlt. Zum Glück spürte ich davon auf dem Zeltplatz kaum etwas. Zum Schluss sperrte man uns in einen sechsstöckigen Förderlift und zog uns wieder ans Sonnenlicht.
Danach besichtigte ich den Wawelberg und die schöne Innenstadt von Krakau. Auf dem riesigen Marktplatz fragte mich eine junge Frau nach einer Strasse. Mein Stadtplan war nicht sehr detailliert und so konnte ich ihr nicht weiterhelfen. Sie erzählte mir, dass sie eine Jus-Studentin aus Danzig sei und hier Bekannte besuchen wolle. Sie fragt mich, ob ich auch die falsche Meinung habe, dass in Polen soviel gestohlen werde. In diesem Moment hörten wir ein Geschrei und ein Mann rannte mit einer Handtasche vorbei, konnte aber von einer Gruppe Jugendlicher aufgehalten werden. Sie gab dann zu, dass dies ein Problem in Polen sei und dass sie darum ihren Rucksack vorne trage.

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30.7.99: Krakau-Jedovnice bei Blansko

Unterwegs wurde ich mit der traurigen Geschichte des zweiten Weltkriegs konfrontiert, denn ich besuchte Auschwitz und Birkenau. Was mich am meisten schockierte waren die Stehzellen, in denen die Gefangenen zu viert auf 80 mal 80 Zentimeter eingesperrt wurden. Nachdem ich weinende Juden beim Besichtigen der Todeswand und der Gaskammer gesehen hatte, war ich froh, diesen Ort des Schreckens zu verlassen.
Der Grenzübertritt nach Tschechien verlief reibungslos, doch als ich gerade losfahren wollte, pfiff ein Zöllner und kam mir nachgerannt. Als ich mich erschrocken erkundete, was denn los sei, fragte er mich, ob ich ein Schweizer Sackmesser übrig hätte. Nach dem Zoll wurden Autobahnvignetten verkauft, doch Motorräder sind zum Glück von einer Gebühr befreit.
Der Campingplatz von Jedovnice lag idyllisch an einem See und war an diesem Wochenende fast
vollständig von Tschechen belegt. Ich hatte mächtig Hunger, doch weil es auf dem Zeltplatz nur eine Imbissbude hatte, ass ich ein halbes Grillhuhn. Wahrscheinlich erwischte ich dabei Salmonellen, denn die folgenden drei Tage litt ich unter Magenschmerzen und Durchfall.

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31.7.99: Jevodnice

Im Reiseführer hatte ich gelesen, dass von den zahlreichen Höhlen im böhmischen Karst "Punkevni" am interessantesten sei, weil man am Schluss mit einem Boot zum Ausgang gefahren wird. Auf dem Zeltplatz hatte man mir aber gesagt, dass vor allem an Wochenende eine frühzeitige Reservation unumgänglich sei. Ich hatte Glück und musste nur eine Stunde auf meine Höhlenführung warten. So war noch genug Zeit, um in die imposante, 140 Meter tiefe Macoha-Schlucht hinunterzuschauen. Da ich immer noch eine halbe Stunde zu warten hatte, beschloss ich zu Fuss zur Höhle zu gehen und nicht die Seilbahn zu benützen.
Unterwegs fragte mich ein holländisches Paar nach dem Weg zur Höhle. Sie hatten mit dem Ticket weniger Glück gehabt und mussten noch drei Stunden auf ihre Führung warten. Kaum in der Höhle bereute ich,
dass ich den Faserpelz im Roller gelassen hatte. Alle Touristen hatten Jacken dabei, nur ich schlotterte bei den 10 Grad in der Höhle. Leider waren die Kommentare auf tschechisch, sodass ich den Inhalt nur erahnen konnte. Nach einer mir unendlich scheinenden Bootsfahrt durch das unterirdische Labyrinth kamen wir ans Tageslicht und ich genoss die Wärme.
Am Abend ging ich nach Jevodnice um etwas zu essen. Das holländische Paar war auch da und lud mich an ihren Tisch ein. Es tat gut, sich wieder einmal auf deutsch unterhalten zu können.

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1.8.99: Jevodnice-Brünn

In rasanter Fahrt gings vom böhmischen Karst nach Brünn hinunter. Bereits nach einer Stunde befand ich mich auf dem Zeltplatz.
Gegen Abend besichtigte ich Brünn, aber am Sonntagabend war in der Altstadt nicht viel los. So fuhr ich bald zum Zelt zurück. Dort sah ich meine Zeltnachbarn an einem Lagerfeuer sitzen und es schoss mir durch den Kopf, dass heute 1. August und damit Schweizer Nationalfeiertag ist. 
Mit einem Bier setzte ich mich zu ihnen. Das Paar kam ebenfalls aus Holland und war mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, was vor allem im Osten eine grosse Geduld erfordere. Als sie mir sagten, dass sie am nächsten Tag die Höhlen
besichtigen wollten, nahmen sie meine Unterlagen und Tipps hocherfreut an.

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2.8.99: Brünn-St.Pölten

Bald hatte ich die österreichische Grenze erreicht. Dort kaufte ich mir ein für 2 Monate gültiges Pickerl für einspurige Motorfahrzeuge, wie die Autobahnvignette für Motorräder  in Osterreich genannt wird.
In St.Pölten suchte ich mir wegen der Hitze einen schattigen Platz für mein Zelt und wollte mich dann im Baggersee abkühlen. Doch die Polizei hatte den See gesperrt und Taucher bargen kurz darauf zwei Leichen. Gegen Abend wurde das Baden wieder erlaubt, doch mir war die Lust vergangen.
Auf dem Marktplatz von St.Pölten gab es viele Stände mit kulinarischen Spezialitäten aus aller Welt. Wegen meinem angegriffenen Magen wurde mir von den Düften schlecht und so fuhr ich zum Campingplatz zurück.

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3.8.99: St.Pölten-Hallein bei Salzburg

Nach der langen Reise im flachen Finnland und Baltikum war der Anblick der Berge hinter Salzburg eine willkommene Abwechslung. Der Zeltplatz beim Auwirt von Hallein war schön gelegen und die sanitären Einrichtungen beinahe luxuriös.

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4.8.99: Salzburg

Der Auwirt hatte jeden gewarnt, mit dem Auto nach Salzburg hinein zu fahren, denn es gibt in der Altstadt nur Fussgängerzonen und keine Parkplätze. Mit dem Roller konnte man bis zum Beginn der autofreien Zone fahren und ihn dort auf einen Zweiradparkplatz stellen. Als erstes suchte ich eine Apotheke auf und liess mir Kohletabletten geben. Von den riesigen Touristenmassen, die sich durch die schöne Barockstadt wälzten, hatte ich bald genug und fuhr zum kleinen Hallein zurück.
Auf dem Dorfplatz fand ein Volksfest mit toller Stimmung statt, doch mein Magen liess nur eine Suppe
und einen baldigen Abgang zu.

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5.8.99: Salzburg-Zürich

Dank den Tabletten gings mir wieder ziemlich gut. Etwas melancholisch nahm ich diese letzte Etappe in Angriff, denn die fünf vergangenen Wochen waren wirklich schnell vorüber gegangen.
Nirgends auf meiner bisherigen Reise durchs Flachland hatte ich so krass wie am Arlberg gemerkt, dass ich nur mit einer 125er unterwegs war. Mit 45 Stundenkilometern kroch der vollbeladene Epicuro die 12 prozentige Steigung hinauf. Auf dem Pass war die Kühlwassertemperatur so hoch, dass ich es vorzog ohne Halt hinabzufahren, damit der Fahrtwind kühlen konnte.
Auf meiner Reise hatte ich gelernt, dass der Westen nicht so sicher und der Osten nicht so unsicher ist, wie man landläufig meint.