( interaktive Landkarte )
2.August | Zürich | Dijon | 340 km |
Der Gesundheitszustand meiner Frau liess diesen Sommer nur eine einwöchige
Abwesenheit zu, während der sich die Schwiegermutter um Frau und Hund
kümmerte. Meine Traumziele Schottland und St.Petersburg rückten dadurch in
unerreichbare Ferne. Von der Bretagne hatte ich schon viele schöne Bilder
gesehen und vor allem der Klosterberg St.Michel faszinierte mich. Also wurde der
Entschluss gefasst: In einer Woche sollte ein Kurztrip in die Bretagne zu
schaffen sein!
Bei ungewohntem Wetter, strahlendem Sonnenschein, packte ich meinen Lastesel
Burgman AN650. Wenn man alles Gepäck vor der Reise ausgebreitet hat, um es nach
vergessenen Artikeln durchzuchecken, hält man es für unmöglich, dass man dies
alles auf einem Zweirad verstauen kann. Die Seitenkoffer vom AN400 vermisste ich
dennoch ein wenig, denn der Reservekanister musste zuhause bleiben. Dafür war
das Gefährt einiges schlanker und das Vorbeischlängeln an Autokolonnen
einfacher. Bei Biel verliess ich die Autobahn, um via Jura nach Frankreich
einzufallen. Durch enge Schluchten und über sanfte Hügel, vorbei an saftigen
Weiden und kräftigen Pferden gings der Grenze am Fluss Doubs entgegen. Jetzt
erkannte ich die Strecke hinter Saignelégier, wo wir im Militär bei Nebel,
Schnee und Kälte einen Telefonleitung bis zum Zollhaus verlegt hatten. Heute
zeigte sich die Gegend von ihrer schönsten Seite, als ob sie sich für das
damalige Unbill entschuldigen wollte. An der Brücke über den Doubs hatten
weder die Schweizer noch die Franzosen ein Interesse an mir, also brauste ich
durch. Kurz nach Maiche plagten mich Hunger und Durst, so dass ich reflexartig
bei einem Imbissstand stoppte. Eine Goldwing stand bereits da und ihr beleibter
Besitzer biss herzhaft in ein Grillhuhn. Da "Texas USA" auf den
Kontrollschildern der Honda stand, sprach ich ihn auf englisch an. Es stellte
sich aber schnell heraus, dass der Fahrer aus Süddeutschland stammte. Er habe
heute eine grössere Tour von sage und schreibe 70 km geplant. Bei meiner
Ankunft in Dijon standen am Abend über 300 km mehr auf dem Tacho.
Dank meiner Routenplanung, welche fast ausschliesslich aus Nebenstrassen
bestand, erlebte ich nie auch nur die Spur eines Staus. Im Gegenteil, ab und zu
mal ein Auto, ein Lastwagen oder ein Traktor. Zwei Dinge erstaunten mich.
Erstens waren die Strassen mehrheitlich in gutem Zustand, sodass man sich mit
100-140 km/h fortbewegen konnte und zweitens wichen die meisten Autofahrer
panikartig nach rechts aus, wenn sie ein Motorrad im Rückspiegel sahen. Durch
dieses Verhalten wäre das Ueberholen auch bei Gegenverkehr möglich, doch so
eilig hatte ich es nun auch wieder nicht.
Die Temperatur war auf fast 30 Grad geklettert. Um meinen Durst zu stillen
suchte ich mir einen Rastplatz an der Saone aus. Zehn Meter nach einem
Fahrverbotsschild erblickte ich den heissersehnten Schatten eines Baumes und
fuhr hin. Sofort klappte ein Angler seine Rute ein und kam angerannt. Wegen
diesen 10 Metern Fahrverbot wollte dieser jetzt ein Theater machen? Im
Gegenteil, er stellte sich als BMW-Cruiser-Fahrer vor und interessierte sich
für den Burgman. Er hatte schon viel über den motorradähnlichen Roller
gelesen, doch noch nie einen in Frankreich gesehen. Auf meine Frage, ob er
zufällig wisse, wo der Campingplatz in Dijon liege, lachte er. Er sei in der
Stadt aufgewachsen und so erstellte er mir ein komplettes Fahrtenbuch, an
welcher Kreuzung ich wie abbiegen solle. Dank seiner Hilfe war dann etwas
später der Campingplatz im Handumdrehen gefunden. In der Stadt herrschten über
35 Grad und mir klebte alles am Leibe. Flugs das Zelt aufgestellt und dann unter
die Dusche! Der Campingplatz von Dijon ist sehr gut gelegen, es ist ruhig dort
und dennoch ist man nach 30 Minuten Fussmarsch im Zentrum. Leider ist die
Strasse entlang dem Bahnhof stark befahren und die Wanderung somit nicht
unbedingt ein Genuss. Doch dafür ist der Roller diebstahlsicher abgestellt und
man kann sich ohne Risiko ein paar Gläschen zum Essen gönnen.
Heisshungrig entdeckte ich ein gemütliches Restaurant in einem Hinterhof und
wollte etwas bestellen. Eine junge Dame machte mir aber freundlich klar, dass
vor 20 Uhr nichts zu wollen sei. Somit hatte ich noch über eine Stunde Zeit, um
durch die schöne Altstadt zu schlendern und ein paar Fotos zu machen. Wieder
zurück fand ich einen Tisch neben dem eines Ehepaars aus Oesterreich. Sie waren
unter anderem in der Gegend, um ihren Weinkeller aufzufüllen. Zu diesem Zwecke
mussten sie viele Gewächse vorerst probieren, was sie denn auch ausgiebig
taten. Ich gönnte mir ein feines Gericht mit Jakobsmuscheln, nur der Preis von
25 Euros stiess mir sauer auf.
Zurück auf dem Campingplatz bemerkte ich, dass die Kneipe noch offen hatte. Ich
gönnte mir einen Schlummerbecher und kam mit einem Paar aus Deutschland ins
Gespräch. Sie waren mit den Fahrrädern unterwegs und schwärmten von den
vielen Kanälen und Schleusen hier. Einziger Wermutstropfen sei, dass die
schönen Schlepperpfade von früher heute vielfach ungepflegt, mit Gras
überwachsen oder wegen Sträuchern sogar unpassierbar seien. Das erste Mal seit
Island kroch ich wieder einmal in die Schlaftüte und schlief sofort ein.
3.August | Dijon | Orléans | 320 km |
Am Morgen braute sich ein Gewitter zusammen. Man hörte fernes Donnergrollen
und Blitze zuckten am Himmel. Zum Glück zog das Gewitter südlich von Dijon
vorbei, sodass auf meinem Weg nordwärts nach "Chatillon sur Seine"
nichts zu befürchten war. In einem kleinen Dorf hielt ich vor einer Kneipe, um
mit einem Kaffee die Lebensgeister zu wecken. An der Bar sassen rund ein halbes
Dutzend Männer, jeder mit einer Weinkaraffe vor sich. Diesen säuerlichen
Weissweingeruch musste ich jetzt am Morgen nicht haben, also genoss ich den
Kaffee im Freien und liess mir die Croissants dazu schmecken.
Schöne Landstrassen und kaum Verkehr förderten das flotte Vorankommen. Auf
vielen Feldern wurde Korn geerntet und das Stroh zu Ballen gepresst. Haushohe
Ballentürme warteten darauf, abtransportiert zu werden. Mancher Lastwagen
schien mir derart überladen zu sein, als würde er in der nächsten Kurve
kippen. Was mir noch auffiel war der ungepflegte Zustand vieler Bauernhöfe,
einige Scheunen schienen akut einsturzgefährdet zu sein. Man sollte auch nicht
unbedingt am Morgen schon Wein trinken...
Ab Gien der Loire entlang war alles wieder gepflegter, bereit für die
Touristenströme. Zuerst hatte ich vorgehabt, in Jargeau zu übernachten. Weil
es noch früh war und ich sowieso Orléans besuchen wollte, beschloss ich dort
einen Campingplatz zu suchen. In der Stadt war es nicht nur heiss, sondern auch
noch feucht, sodass mir Bäche aus dem Helm liefen. Mitten in Orléans hatte ich
ein Schild gesehen, welches eine Touristeninformation anzeigte. Ich stellte den
Burgman auf dem Platz vor einem barocken Haus ab, das gerade in Renovation
stand. Ein Maler rief aus dem Fenster, dass es keine gute Idee sei, das ganze
Gepäcke allein zu lassen, doch ich hatte keine andere Wahl. Ich deutete auf die
Information und er versprach, auf meinen Roller aufzupassen. Endlich beim
Tourismusbüro angelangt zeigte ein Schild an, dass es neu in einer anderen
Strasse sei: Merde! Also ging ich zum Burgman zurück, wo bereits zwei Maler auf
dem Trottoir Wache standen. Einer hatte einen Supersportler gehabt, doch nach
einem schweren Unfall das Motorradfahren aufgegeben. Unterdessen schauten die
restlichen Handwerker aus den Fenstern meinen Roller an: Die Renovation soll
warten.
In Frankreich gibt es nur in den Städten Roller bis 125 ccm. Wer Motorrad
fährt, hat eine Rennmaschine und rast damit halsbrecherisch herum. Chopper,
Cruiser oder grosse Roller sind äusserst selten. Auf meine Frage nach dem
Zeltplatz nickte einer der Maler: Ich müsse nur rechts der Loire entlang
westwärts fahren, dann sei links "Camping de la Chapelle"
angeschrieben. Dank der freundlichen Hilfe fand ich den Platz schnell. Die
Sanitärausstattung war äusserst einfach, dafür die Lage direkt an der Loire
äusserst idyllisch. Nach dem Aufstellen meiner Stoffbehausung gings zum
nächsten Supermarkt, denn mein Magen knurrte. Sowas riesiges hatte ich noch nie
gesehen. Hier gabs auf der Grösse von zwei Fussballfeldern vom Fernsehgerät
bis zu exotischen Lebensmittel alles. Zudem sorgten über 50 Kassen dafür, dass
nirgends ein Stau entstand. Unter anderem wollte ich Käse und Brot kaufen, aber
welchen Käse nehmen von den 100 oder welches Brot von den 50 angebotenen
Sorten? Man kanns mit der Auswahl auch übertreiben...
Am Abend ritt ich auf Schusters Rappen ins Zentrum. Die Strecke war mit 45
Minuten Marsch ordentlich weit, dafür auf einem Kiesweg durch freie Natur
direkt der Loire entlang sehr schön. Beim Eindunkeln waren die Strassen nur
noch von Schwarzen bevölkert, was mich zur Heimkehr bewegte. Ich dachte, ich
sei in Orléans und nicht in "New Orleans". Heil auf dem Campingplatz
angekommen wartete die nächste Ueberraschung auf mich. Der Platzwart bestand
darauf, dass ich mein Zelt versetzte, da es 20 cm in die nächste Parzelle
ragte. Seiner Mine nach würde ich erst Nachtruhe finden, wenn ich den
Anordnungen Folge geleistet hatte. Beim Einschlafen dachte ich: Die sind ja noch
spiessiger als wir Schweizer...
4.August | Orléans | Saumur | 240 km |
Beim Frühstück vor dem Zelt kam ich mit den Zeltnachbarn ins Gespräch. Es
war ein junges Paar aus Italien, welches hier möglichst viele Loire-Schlösser
besichtigen wollte. Der Mann sprach so gut deutsch, dass ich meine paar Brocken
Italienisch gar nicht zu bemühen brauchte. Nach dem gegenseitigen Wünschen
einer guten Reise brauste ich der Loire entlang westwärts. In Richtung
Flusslauf auf der linken Seite führt eine romantische Nebenstrasse durch viele
Alleen und Dörfer. Nach Zwischenhalten in Blois und Amboise entdeckte ich das
Schild einer Weinkellnerei. Im Felsenkeller waren alle Werkzeuge und Geräte
ausgestellt, welche man zur Kultivierung der Reben, Pressung des Saftes und
Gärung des Weines braucht. Die Aufforderung zu einer Gratisdegustation lehnte
ich dankend ab, erstens war es erst Vormittag und zweitens musste ich noch
fahren.
Bei Tours fand ich die Strasse entlang der Loire nicht mehr, kurvte zwischen den
grauen Betonblöcken der Vorstadt herum und erwischte schlussendlich die
Autobahn in Richtung Süden. Schwarze Wolken im Westen verhiessen nichts Gutes.
Bei der ersten Ausfahrt wurde die Autobahn verlassen und das Regenkombi
montiert. Bei leichtem Regen gings mit 140 km/h die kilometerlange, gerade
Strasse Richtung Chinon hinunter. Plötzlich versperrte mir eine Horde
Harley-Fahrer den Weg. Scheinbar ihr Anführer machte ein Zeichen mit dem Bein,
alle fuhren rechts und ich konnte mit zum Dank eingeschalteten Warnblinker
vorbeirollern. In diesem Moment hätte ich um kein Geld der Welt mein wohlig
trockenes Regenkombi gegen ihre wassertriefenden Lederkostüme getauscht.
Nach Chinon wurde der Regen immer stärker. Auf dem Zeltplatz in Saumur hatten
sich bereits kleine Seen gebildet, doch das hielt einen Island-Erfahrenen nicht
vom Aufstellen seines Zeltes ab. Nach einem Nickerchen hatte sich das Wetter
gebessert, sodass einem Fussmarsch zur Burg Saumur nichts mehr im Wege stand.
Die von der Loire her sichtbare Seite war renoviert worden, doch die Rückseite
sah bedrohlich nach Einsturz aus. Ich genoss den weiten Blick von hier oben mit
einem Glas Rosé in der Hand. In der Altstadt entdeckte ich ein schönes
Strassenrestaurant und liess mir einen Berg Muscheln servieren. Um mich herum
sassen französische Familien und genossen das gute Mahl, das vor allem aus
Meeresfrüchten, Kartoffeln und Wein bestand. Doch diese Beschaulichkeit war im
Nu vorbei, als rund ein dutzend Deutsche einfielen. Ihre Kinder rannten umher,
kletterten auf Stühle, rissen Blumen aus den Rabatten und eines schmiss fast
meinen Tisch um. Zum Glück war ich beim Leeren der letzten Muschel angelangt
und konnte das arme Servierpersonal seinem Schicksal überlassen...
5.August | Saumur | Vivier sur Mer | 300 km |
Kurz vor Angers sprang mir die blinkende Tankanzeige in die Augen. Eigentlich
hatte ich vor, links der Loire in Richtung Nantes zu fahren, doch auf dieser
Strecke war wohl kaum eine Tankstelle anzutreffen. So fuhr ich halt in Richtung
Zentrum. Nach längerem Suchen und mit dem letzten Tropfen Benzin im Tank
erspähte ich endlich eine Zapfsäule. Mit einem Reservekanister im Gepäck
liesse es sich nervenschonender fahren! In diesem Moment beschloss ich, nach der
Tour weiche Seitenkoffer, sogenannte Softbags, näher anzuschauen.
Durch schmale Strassen und um viele Hausecken herum wurde dann "St.Georges
sur Loire" erreicht. Ich musste unbedingt Transitstrassen nehmen, wollte
ich noch an diesem Tag die Nordsee erreichen. In Chateaubriant kam mir das
gleichnamige Gericht in den Sinn und mir lief das Wasser im Munde zusammen.
Notgedrungen biss ich ins mitgebrachte Sandwich.
Dann gings wie im Flug an Rennes vorbei bis zum schönen, mittelalterlichen
Combourg. Endlich erreichte ich später das Meer beim gepflegten Dorf "Vivier
sur Mer". Die dunklen Backsteinheinhäuser, die blumengeschmückten Gärten
und der Campingplatz gefielen mir, also montierte ich mein Zelt. Trotz
Müdigkeit schwang ich mich wieder auf den Roller, um St.Malo, genauer La Ville
Close, zu besichtigen. Im Innern der Mauern zwängten sich die Touristen durch
die Gassen, Restaurant reihte sich an Kneipe und Souvenirboutique an
Kitschladen. So zog ich es vor, die Stadt auf der über zwei Kilometer langen
Mauer zu umrunden und von oben zu betrachten. Zu sehen war unter anderem die
Statue von Robert Surcouf, der das Korsarennest St.Malo zum Schrecken der
Engländer machte.
Die Sonne näherte sich langsam dem Horizont, die vorgelagerten Inselchen waren
wegen der Flut nicht mehr zu Fuss erreichbar und eine frische Meerbrise kam auf,
also trat ich den Rückweg an. Kurz vor dem Campingplatz fiel mir ein kleines
Restaurant direkt am Meer auf, welches Muscheln anpries. Reflexartig zog mein
Magen an den Bremsen und ich schlürfte wenig später Austern, Muscheln und
einen Schluck Weisswein. Den Rest der Flasche genoss ich dann bei Kerzenschein
vor dem Zelt. Mit Wehmut musste ich daran denken, dass dies der einzige Abend in
der Bretagne sein wird.
6.August | Vivier sur Mer | Fontainebleau | 440 km |
An diesem Tag war früh Tagwache, denn ein grosses Programm stand heute an.
Zuerst St.Michel besichtigen und dann noch 400 km Fahrt, weil ich in drei Tagen
zuhause sein musste. Der Himmel schien gnädig mit mir gestimmt zu sein, beim
kräftigenden Frühstück wärmten mich die ersten Sonnenstrahlen und keine
Wolke war zu sehen. Zum Glück war ich beizeiten dran, denn vor dem Klosterberg
war der Parkplatz noch fast leer und nur einzelne Autobusse auszumachen.
St.Michel ist schon von weitem faszinierend, doch wenn man direkt davorsteht ist
das Bauwerk gigantisch. Gemäss Sage gab der Erzengel Michael im Jahre 708 den
Befehl, auf der 80 Meter hohen Felsenspitze eine Kirche zu erbauen. Im Jahre
1084 war dann das mächtige Kloster fertig gebaut. Vor dem Hundertjährigen
Krieg kam noch ein mächtiger Befestigungsring dazu. Weder den Franzosen noch
den Engländern gelang es, diese Festung der Bretonen zu erobern. Grosse
Geschütze versanken im Sand, Kriegsschiffe liefen auf Grund und zu Fuss
waren diese Mauern nicht einzureissen. Nach dem Entrichten von 9 Euros Eintritt
und Besichtigung des mächtigen, über drei Stockwerke verteilten Bauwerks gings
der Grande Rue entlang hinaus. Jedenfalls war das meine Absicht, doch inzwischen
strömten so viele Touristen herein, dass es durch die schmale Gasse kaum mehr
ein Durchkommen gab. Als ich es endlich geschafft hatte, rutschte mir das Herz
beinahe in die Hosen: Die Sturzbügel an meinem Burgman waren abmontiert und das
Gepäck auf dem Sozius weg! Bei näherer Betrachtung entdeckte ich zuerst die
österreichischen Kennzeichen und dann meinen unversehrten Burgman ganz in der
Nähe. Ich hatte nicht damit gerechnet, hier einen identischen Roller
vorzufinden.
In einiger Entfernung von St.Michel schaltete ich eine Verpflegungspause ein, so
konnte ich den Klosterberg zum Abschied nochmals betrachten. Beeindruckt hatte
mich der Warenaufzug, der mit einem "Hamsterrad" von 6 Metern
Durchmesser von Sklaven angetrieben wurde. Durch ein Gitter gesichert konnte man
über 50 Meter in die gähnende Tiefe schauen. Ebenfalls die drei mannshohen
Oefen, welche die Krypta beheizten, waren gigantisch: Hier konnte man ganze
Baumstämme verbrennen. Schade war, dass man das unterirdische Labyrinth nicht
besichtigen durfte. Ein Wärter hatte mir erzählt, dass der ganze Berg
durchlöchert sei mit Vorratsräumen, Kammern und Verliessen wie ein Schweizer
Käse. Auch eine Sage? Nach einem letzten Blick zurück gings ostwärts nach
Hause.
Nach einer langen Fahrt geriet ich auf der doppelspurigen Umfahrungsstrasse von
Chartres in einen langen Stau. Zum Glück hatte ich einen einheimischen
Rollerfahrer vor mir, der in selbstmörderischem Tempo in der Mitte voranfuhr.
In sicherem Abstand folgte ich ihm, denn man weiss ja nie, ob ein Automobilist
einen Schikaneschwenker macht oder sogar die Türe öffnet (leider alles schon
erlebt). Aber nichts von alledem, die meisten machten Platz so gut es
ging. Da es langsam Abend und ich müde wurde, suchte ich nach Fontainebleau
nach einem Plätzchen für mein Zelt, welches ich zwischen Avon und der Seine
fand. Das nächste Dorf war zirka 2 km entfernt und ich zu müde zum laufen oder
fahren. So begnügte ich mich mit der Campingkneipe und nagte bald an einer
matschigen Mikrowellenpizza. Das pure Kontrastprogramm zu den gestrigen
Meeresfrüchten! Wenigstens war das Bier gut...
7.August | Fontainebleau | Gray | 320 km |
Auf breiten, geraden Strassen gings zügig voran in Richtung Troyes. Am
Wochenende waren viele Biker unterwegs. Ein paar Mal kam mir ein überholendes
Motorrad entgegen, welches gerade neben einem Auto fuhr. Dann hiess es ganz
rechts fahren und den hirnlosen Raser freundlich zurückgrüssen.
Bei Langres braute sich ein Gewitter zusammen, sodass ich mich nach einem
Zeltplatz umsah. Ganz in der Nähe an einem Stausee gelegen, fand ich ein
schönes Exemplar. Doch die vielen Jugendlichen und die grosse Diskothek dort
verhiessen keine angenehme Nachtruhe. Also montierte ich meinen Regenschutz und
wollte nach Gray fahren. Unterwegs merkte ich, dass die benützte Strasse nach
Dijon führte und so bog ich scharf nach links ab. Diese Route über Fontaine
Francaise bestand aus Landstrassen dritter Kategorie, kaum breiter als ein Auto
und manchmal quer durch Bauernhöfe führend. Nach all den Transitstrassen eine
ganz willkommene Abwechslung.
Beim Erreichen des Zeltplatzes in Gray staunte ich nicht schlecht, denn er war
überfüllt mit kugelwerfenden Leuten. Die freundliche Dame an der Reception
meinte, diese Boule-Meisterschaft dauere nur noch bis 20 Uhr, danach sei Ruhe
und ich dürfe mir übrigens eine Parzelle aussuchen, wo ich wolle. Das war erst
das zweite Mal, bei dem ich nicht einen Platz zugewiesen bekam. Ich schätze es
nämlich überhaubt nicht, einfach einen Parzelle neben dem Sanitärgebäude
oder dem Eingang beziehen zu müssen.
Beim anschliessenden Schlendern durch Gray fielen mir die vielen Blumen auf,
welche den Ort schmückten. In jedem Verkehrskreisel stand ein wahres
Meisterwerk. Leider war im einzigen Restaurant, das ich fand, alle Tische
reserviert. So fragte ich den Kellner in einem Pub, ob das alles sei, was Gray
gastronomisch zu bieten habe. Er empfiehl mir ein italienisches Restaurant, ganz
versteckt in einer entfernten Seitengasse. Bei der Rückkehr ins Pub dankte ich
ihm für den guten Geheimtip und schaute mich um. Für einen Samstagabend war
hier erstaunlich wenig los, nur einige Jugendliche drückten nervös auf ihren
Handys herum. Beim Eintreffen am Zelteingang konnte ich die Empfangsdame
bestätigen: Es war beschauliche Ruhe eingekehrt.
8.August | Gray | Zürich | 280 km |
Als ich am Morgen zwischen den Reissverschlüssen hinausschaute, traute ich
meinen Augen kaum. Es herrschte so dichter Nebel, dass man die Hecke um das Zelt
nur schemenhaft erkennen konnte. Gleich nebenan floss die Saone und es war
August: Vorboten des Herbsts. Mit den ersten wärmenden Sonnenstrahlen war
dieser Spuk vorbei und ich konnte bei schönstem Wetter und leeren Strassen nach
Besancon brausen. Nach der Stadt vermehrten sich die Sonntagsfahrer und ich
beschloss, nicht über Basel sondern via Pruntrut in die Schweiz einzureisen.
Ein weiser Entschluss, hörte ich doch zuhause im Radio: Basel, zwei Stunden
Wartezeit bei der Einreise. In Pruntrut winkten mich wieder beide Parteien
durch, ich hätte meinen Pass ebensogut zuhause lassen können.
Ich wäre gerne noch ein paar Tage länger in der Bretagne geblieben und hätte
mir unter anderem Brest angeschaut, aber St.Malo und vor allem St.Michel sind
allein eine Reise wert...